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■ SpätleseFrausinn

Daß der Feminismus nicht in der besten Verfassung sei, brauchen interessierte Männer nicht einmal mehr festzustellen: Zermürbungserscheinungen zeigen die Frauen selbst. Nicht nur in manchen taz- Redaktionssitzungen hat der Ruf nach der feministischen Perspektive einen beschwörenden und zugleich blanken Ton – wie er Sirenen eignet... –, und über die klassischen Empörungsthemen wie Paragraph 218 und Mißbrauch hinaus sind Ansätze zu neuen Themen und einem veränderten Selbstverständnis noch bescheiden zu nennen. Um so wichtiger sind Periodika, die sich weder in szientistischen Versicherungsklauseln erschöpfen noch dem ewig munter- bunten Wir-schaffen-alles-Ton einer Emma ergehen, sondern selbstreflexiv und souverän der Frauenbewegung Gedächtnis und Gegenwart sichern: die „beiträge zur feministischen theorie und praxis“ beispielsweise – auf deren Situation und Ethik eine bescheidene Bemerkung im Impressum aufmerksam macht: „Der Verlag erzielt keinen Gewinn. Mitarbeit erfolgt grundsätzlich ohne Honorar.“

Im derzeit lieferbaren Heft Feminis-muß gibt ein kluges Editorial eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation. Es warnt vor der endgültigen Gabelung der Bewegung in eine Zweifel verdrängende Sachlichkeit, die sich durch hektische Betriebsamkeit erhöhte Bedeutung vortäuscht – und dem müden, individuellen Abschied in Normalität oder Diaspora. Der durch Professionalität verdrängten Erfahrung von Marginalisierung in den Projekten steht die private Melancholie gegenüber, die objektive Widrigkeiten nicht mehr benennen kann, sondern als subjektive Unzulänglichkeiten oder überpersonale Zeitläufte hypostasiert. Das Vorwort knüpft an neuere Erwägungen zum politischen Vorgehen eine mahnende Einsicht: „Die westliche feministische Bewegung bezog ihr Selbstverständnis aus der vorausgesetzten gemeinsamen Identität „Frau“, die als universell phantasiert wurde (Sexismus als die zentrale Analysekategorie gesellschaftlicher Strukturen). Was sich zunächst als adäquate Reaktion auf die gesellschaftlichen Spaltungen und Interessenshierarchien zur Bündelung politischer Gegenmacht/-durchsetzungsfähigkeit begreifen ließ, erwies sich im Kontext der obengenannten Debatte als Ausgrenzungspolitik gegenüber Frauen, die die (unausgesprochene) Norm weiß, jung, Mittelschicht nicht erfüllten. Dennoch kommt es politischem Selbstmord gleich, mit der Kritik an den Ausgrenzungsstrukturen bürgerlicher Identitätspolitik potentiellen Gemeinsamkeiten als Basis für politisches Handeln nur einen untergeordneten Wert beizumessen. ... Differenzpolitik, die in die politische Vereinzelung mündet, kommt nach wie vor dem Jonglieren der Mächtigen mit dem Teile- und-herrsche-Prinzip entgegen.“ In diesem Geist sind die Beiträge zu diesem Heft geschrieben, die „eine kleine Einführung“ in die Frauenbewegung in Ostdeutschland geben, Projekterfahrungen zur verdichteten Selbstreflexion nutzen und eine differenzierte Diskussion zum Verhältnis Rassismus/Feminismus führen. Kurz: nicht nur eine notwendige Empfehlung. Auch die Empfehlung einer Notwendigkeit.

beiträge zur feministischen theorie und praxis. Heft 15: „Feminis- muß“. Mit Beiträgen von Luise F. Pusch, Arzu Toker, Christina Schenk u.a. 168 Seiten, 19 DM. Im Buchhandel zu beziehen über: Frauenliteraturvertrieb GBR, Wiesbaden, sonst über den Verlag (Niederichstr. 6, 50668 Köln)

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