Soziologin über DDR-Frauenbewegung: "Beschränkte Emanzipation"
Vor 20 Jahren gründete sich der Unabhängige Frauenverband (UFV) in der DDR. Mitgründerin Tatjana Böhm über die Rolle des UFV bei den "Runden Tischen" und die Nicht-Reflexion von Unterdrückung in der DDR.
Mit Jubel gründete sich vor 20 Jahren der Unabhängige Frauenverband (UFV). Jetzt ist das Symbol der ostdeutschen Frauenbewegung vergessen. Mitgründerin Tatjana Böhm über das, was Ostfrauen wollten, was daraus wurde und was sich die CDU bei ihnen abgeguckt hat
taz: Frau Böhm, vor 20 Jahren, am 6. Dezember 1989, hat sich der Unabhängige Frauenverband gegründet. Bei den diesjährigen Feierlichkeiten zum Mauerfall aber wurde das mit keinem Wort erwähnt. Warum nicht?
Tatjana Böhm: Spielten Frauen in den Debatten zum Mauerfall überhaupt eine Rolle? Jetzt scheint es so, als seien an den Ereignissen vor 20 Jahren nur Männer beteiligt gewesen.
Die 55-Jährige hat 1989 den Unabhängigen Frauenverband (UFV) mitgegründet. Seit Anfang der 80er-Jahre setzte sich die Soziologin für kritische Frauenforschung in der DDR ein.
Im Jahr 1990 war sie Mitautorin des Verfassungsentwurfs des runden Tischs und der Sozialcharta und Ministerin ohne Geschäftsbereich in der zweiten Modrow-Regierung und Mitarbeiterin der Volkskammerfraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Seit 1992 ist Tatjana Böhm Referatsleiterin im Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie im Land Brandenburg.
Dabei mischten sich Frauen im Herbst 1989 lautstark in die gesellschaftliche Debatte ein, zum Beispiel mit dem feministischen Manifest "Ohne Frauen ist kein Staat zu machen".
Darin entwickelten wir alternative Gesellschaftsmodelle, zum Beispiel das eines anderen Sozialismus, den sogenannten dritten Weg, der sich jenseits des realen Sozialismus der DDR und des Kapitalismus der BRD bewegen sollte. Wir hatten die Vorstellung von einem demokratischen Land, in dem Frauen und Männer gleichberechtigt sind.
Die Frauen von damals haben sich heute aber auch nicht zu Wort gemeldet.
Stimmt. Aber wurden sie gefragt? Es sind immer dieselben, die in diesem Jahr auftauchen: Bärbel Bohley, Marianne Birthler, Vera Lengsfeld.
Ausgerechnet die haben sich frauenpolitisch nicht hervorgetan.
Richtig, aber sie haben anderes in der Demokratiebewegung geleistet. Und leider sind "normale" Frauen, die damals an vorderster Front dabei waren, die Demos organisiert und Flugblätter geschrieben haben, für Medien heute nicht interessant.
Warum nicht?
Ganz offensichtlich wird selbst beim Thema Wiedervereinigung nicht über Geschlechterstereotype nachgedacht. Heraus kommt dann diese männlich dominierte Sicht auf die Ereignisse und eine Geschichtsschreibung, die ich ahistorisch nenne.
Bleibt den Frauen also nichts anderes, als sich selbst zu feiern, was sie am Wochenende in der Berliner Volksbühne, wo sie den UFV gegründet haben, tun.
Das war ein einmaliger Tag damals. Ich saß mit anderen Frauen auf der Bühne, hinter uns dieses unglaubliche Bühnenbild: weiße Wäsche auf einer langen Leine. Und dann kletterten immer wieder neue und völlig unterschiedliche Frauengruppen auf die Bühne: Feministinnen, Land- und Kirchenfrauen, Lesben, Autonome, Öko-Frauen. Es war laut, es war hitzig, die Volksbühne war überfüllt, sodass am Ende selbst der Feuerwehrmann kapitulierte, der eigentlich dafür sorgen sollte, dass nicht mehr Leute reinkommen als reinpassen.
Was sollte der UFV bringen?
Wir wollten das politische Feld nicht den Männern überlassen, wir mischten da aktiv mit. Und wir wollten sozial nicht hinten runterfallen.
Ist das gelungen?
Für einen kurzen Moment, ja. Da gab es so etwas wie die Einbindung weiblicher Kompetenzen in den Demokratisierungsprozess: Wir haben den Abtreibungsparagrafen 218 auf die Agenda gehoben, den Erhalt sozialer Standards gefordert und die geschlechtsneutrale Ausschreibung von Berufen in den Vereinigungsvertrag geschrieben.
Die veränderte Sprache war neu für den Osten.
Absolut. Vorher wurde nie darüber debattiert, ob eine Frau Lehrer oder Lehrerin ist. Wir mussten erst mal klar machen, dass es hierbei nicht formal um eine weibliche Wortwahl geht, sondern um geschlechterstereotype Sichtweisen, darum, dass unterschiedliche politische und wirtschaftliche Prozesse unterschiedliche Konsequenzen haben. An dieser Stelle haben wir Regine Hildebrandt …
… der früheren Sozialministerin in Brandenburg, die 2001 an Krebs gestorben ist …
… viel zu verdanken. Sie hat Ostfrauen immer wieder in den Mittelpunkt ihrer Politik gerückt. Sie wurde nie müde zu betonen, dass Ostfrauen genauso gut sind wie Männer und genauso gut ausgebildet. Damit hat sie in jeder Talkshow genervt.
Soziale Grund- und Frauenrechte sind nach der Wiedervereinigung massiv abgebaut worden. Im Nachhinein scheint es fast so, als haben sich die Ostfrauen diese Rechte viel zu leicht abnehmen lassen.
Wir haben hart gekämpft, zumindest wir Aktivistinnen. Einmal hatte ich ein Gespräch mit der damaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, und die sagte: Tun Sie alles dafür, um die Kitas zu erhalten. Aber solche Entscheidungen lagen zu dieser Zeit schon längst bei der Bundesregierung. Und dann gab es zu Beginn der Neunzigerjahre die ersten Gutachten, die besagten, dass die gemeinschaftliche frühe Erziehung in der DDR Kindern nur schadet.
Wie haben Ostfrauen darauf reagiert?
Manche haben sich gewundert, andere gegen einen solchen Unsinn protestiert. Aber ein paar haben es auch akzeptiert.
Genutzt haben die Proteste wenig.
Die Definitionsmacht darüber lag ja inzwischen ganz woanders, und der Mainstream gegen das ostdeutsche Kita-System war enorm. Und irgendwann waren wir auch müde: Wir Ostfrauen mussten uns ja ständig rechtfertigen für unser Leben. Und dann das Gerede westdeutscher männlicher Politiker über die "ungebrochene Erwerbsneigung" der Ostfrauen, ein Phänomen, das mit einem Mal sehr kritisch beäugt wurde. Wer spricht eigentlich von männlicher Erwerbsneigung?
Die bis vor Kurzem amtierende Familienministerin Ursula von der Leyen hat die Kita-Betreuung gesellschaftsfähig gemacht. Hat die CDU-Politikerin sich das von den Ostfrauen abgeguckt?
Hat sie, aber das sagt sie nicht. Das empfinden viele Ostfrauen als Kränkung, vor allem jene, die vor 20 Jahren Kinder hatten und wissen, dass es Quatsch ist zu sagen: Das Kita-Modell, das wir heute präferieren, stammt aus Skandinavien. Warum kann heute niemand sagen, dass diese Struktur aus dem Osten übernommen wurde? Dieses Bekenntnis schließt eine kritische Betrachtung gleichgeschalteter Erziehungsmethoden und Erziehungsstrukturen doch nicht aus.
Was haben Ostfrauen in die Einheit eingebracht?
Neben ihrer "ungebrochenen Erwerbsneigung" zum Beispiel die Normalität, die damit verbunden ist. Dass sie einfach machen und nicht lange darüber reden.
Viele Ostfrauen sagen heute noch immer, sie seien Lehrer oder Bauarbeiter. Haben die nichts gelernt?
Sie reflektieren leider nicht die Diskriminierung, die hinter solchen Formulierungen steckt. Damals reichte es vielen, Arbeit zu haben und dadurch finanziell unabhängig zu sein. Aber das schloss eine kritische Auseinandersetzung mit den patriarchalen Strukturen der DDR aus.
Und was ist mit der Dreifachbelastung der Frauen?
Die wurde von vielen Frauen nicht als Diskriminierung wahrgenommen, sondern als Unbehagen, als eine Frage schlechter Organisation. Ich bezeichne das immer als eine beschränkte Emanzipation bei nichtreflektierter Unterdrückung.
Was haben Ostfrauen nach dem Fall der Mauer gewonnen?
Bürgerliche Freiheitsrechte: Reisefreiheit, Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit. Selbst die Freiheit, das Gattinnenprojekt zu leben. Aber das machen ja nur wenige.
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