Sozialsenatorin Carola Bluhm zieht Bilanz: "Mein Politikstil ist ein anderer"
Wowereits Glamour ist ihr fremd, auf die Zusammenarbeit der rot-roten Koalition ist Sozialsenatorin Carola Bluhm (Linkspartei) aber stolz. In ihrem Ressort sieht sie die Kernkompetenz ihrer Partei.
taz: Frau Bluhm, SPD und Grüne liebäugeln mit einer gemeinsamen Koalition. Bereiten Sie sich schon auf die Opposition vor?
Carola Bluhm: Wenn die Entscheidung nach dem 18. September so fällt, dann müssen wir das zur Kenntnis nehmen. Ich traue den Berlinern und Berlinerinnen aber zu, dass sie mal genauer hinsehen, was es ohne die Linke nicht mehr gibt.
Was würde Berlin fehlen, wenn Carola Bluhm nicht mehr Senatorin ist?
Es würde diese strikte Ausrichtung, jede politische Entscheidung noch einmal unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit und Chancengleichheit zu beleuchten, nicht mehr geben. Wir haben es in diesen zehn Jahren geschafft, das Bildungsressort, obwohl wir es nicht hatten, mit unserer Handschrift auszustatten: von Kita über Gemeinschaftsschule bis zur Abschaffung der Hauptschule. Das kann sozialpolitisch gar nicht überschätzt werden. Schauen Sie sich doch das Beispiel Rütli-Schule an, wo selbst ein Bürgermeister Buschkowsky Tränen in den Augen hat, wenn er mir jetzt die Abschlusszahlen sagt: Nur zwei Schüler haben den Abschluss nicht geschafft.
Allesamt Projekte, die sich der Bildungssenator anheftet.
Carola Bluhm (Linke), 48, ist seit zwei Jahren Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales. Zuvor war sie Fraktionsvorsitzende ihrer Partei im Abgeordnetenhaus.
Es weiß doch jeder in der Stadt, dass die Gemeinschaftsschule von der Linken kommt. Dahinter steckt aber auch ein interessanter Akzeptanzprozess. 2006 hieß es von der SPD: Okay, wenn die Linken ihre drei Punkte - Rekommunalisierung statt Privatisierung öffentlichen Eigentums, ÖBS und Gemeinschaftsschule - zur Bedingung für eine Regierungsbeteiligung machen, dann geben wir sie ihnen halt. Heute zeigt sich: All diese Punkten haben die Regierungszeit geprägt. Und im Übrigen bin ich tatsächlich stolz darauf, dass wir in diesen zehn Jahren großer und heftiger Auseinandersetzungen die Politik miteinander und nicht gegeneinander gemacht haben.
Das ehrt Sie, nutzt Ihnen aber nichts, wenn Sie der nächsten Regierung nicht angehören. Fehlt Ihnen der Glamour eines Klaus Wowereit?
Wie bitte? Ich hänge an der Überzeugung, dass man in dieser Stadt nur mit einer harten, uneitlen und eben nicht auf Zuspitzung angelegten Sacharbeit etwas erreichen kann. Die, die jetzt heftig Schaum schlagen, müssen ihn am Ende auch selber essen.
Die Leute wollen aber mitgerissen werden.
Die Gabe eines Gregor Gysi, Sachverhalte medienwirksam zu verkürzen, ist sicher nicht das Schlechteste. Aber mein Politikstil ist eben ein anderer.
Würden Sie diesen Satz unterschreiben: Bildung ist der Schlüssel zu mehr sozialer Gerechtigkeit?
Auf jeden Fall.
Also ist der Bildungssenator der Gestalter, und Sie sind die Verwalterin der Armut? Die Hartz-IV-Senatorin?
Ganz sicher nicht. Ich habe das Ressort nie als den schwierigen Rest empfunden. Im Gegenteil: Hier liegt unsere Kernkompetenz. Wir gestalten sehr wohl die Lebensqualität in der Stadt. Denken Sie an die Absicherung der Pflegewohngemeinschaften, unsere Landesinitiative für gute Arbeit in der Pflege, die Gesetzesinitiativen gegen Homophobie oder die 275 zusätzlichen Wohnungen, mit denen wir Flüchtlingen aktuell eine Alternative zur Unterbringung in Sammelunterkünften geben. Das sind Erfolge, die ein Fachpublikum sehr wohl wahrnimmt. Nur kommt die "Abendschau" nicht so oft vorbei.
Für den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS), das Prestigeprojekt der Linken, haben Sie jede Menge Aufmerksamkeit bekommen. Wahrscheinlich mehr, als Ihnen lieb war.
Mit dem ÖBS haben wir ein Konzept aufgebaut, das Langzeitarbeitslose in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zum Mindestlohn bringt. Die Leute müssen nicht mehr zum Jobcenter, wir haben die Bürokratie nicht mehr, die Leute kriegen keine Bescheide, mit denen sie dann zum Sozialgericht gehen und erfolgreich auf 5 Euro klagen. Und sie machen eine Arbeit, die der Gemeinschaft nutzt: als Sprachmittler, als Mobilitätshelfer, als Integrationslotsen oder Stadtteilmütter.
7.300 von 230.000 Arbeitslosen haben Sie damit erreicht. Da gab es viel Spott von der Opposition.
Es sind 7.300 von 77.000 Langzeitarbeitslosen.
In den ersten Arbeitsmarkt schafft es jedenfalls kaum einer durch ÖBS.
Darum ging es nie und durfte es nach den Vorgaben des Bundes auch gar nicht gehen. In den ÖBS kommen nur Menschen, die überhaupt keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben. Da müssen bei jedem Einzelnen die Vermittlungshemmnisse nachgewiesen werden. Die Alternativen für diese Menschen lauten nicht: ÖBS oder erster Arbeitsmarkt. Die Alternativen sind: ÖBS oder zu Hause sitzen und verzweifeln.
Es wird Ihnen aber immer wieder vorgeworfen, zu viel Geld für einen relativ exklusiven Kreis auszugeben.
Ich werde wütend, wenn Leute sagen, 300 Euro von Landesseite sind zu viel. Sind die alle vor den Schrubber gelaufen? Das können doch nur ideologische Angriffe sein. Für manche scheint es eine Provokation zu sein, dass Langzeitarbeitslose für einen Job 7,50 Euro pro Stunde bekommen. Wenn ich an die Grünen denke: Die schreiben in ihr Bundesprogramm rein, dass sie den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor zum Mindestlohn genauso wollen, und hier in Berlin bekämpfen sie ihn! Das ist doch verrückt!
Ein großes Thema in diesem Jahr war das Bildungspaket. Ihrer Verwaltung oblag die Koordination. Auch dafür gab es viel Schelte, weil die Umsetzung so lange gedauert hat.
Wir haben hier Nachtschichten geschoben, um aus dem Paket von Frau von der Leyen das Beste rauszuholen. Aber wenn fünf Institutionen eingeschaltet werden müssen und die Kinder am Ende trotzdem einen Euro fürs Mittagessen mitbringen müssen, kann ich nicht zufrieden sein. Da wurde ein falscher Weg mit einer fatalen Philosophie durchgedrückt: Die Eltern können es angeblich nicht, die würden von dem Geld Zigaretten kaufen, denn die hat man ihnen ja aus dem Regelsatz gestrichen. Und jetzt müssen diese Eltern, denen man von staatlicher Seite das Misstrauen bekundet hat, unglaublich viel Bürokratie bewältigen, um an die Leistungen zu kommen.
Was ist denn Ihr Konzept gegen die Armut von rund 180.000 Berliner Kindern?
Da können wir nur etwas erreichen, wenn wir die Perspektiven der Eltern verbessern. Wenn wir es angesichts des Fachkräftemangels hinbekommen, Arbeitskräfte auch aus der verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit zu gewinnen. Und wenn wir dafür sorgen, dass Menschen von ihrer Arbeit auch leben können und nicht wie 130.000 Berliner zusätzlich Hartz IV bekommen. Aber das sind Probleme, die keine Stadt allein lösen kann.
Also ist Ihr Gestaltungsspielraum überschaubar?
Ich möchte mal behaupten, dass kein anderes Bundesland aus den Vorgaben der Bundespolitik mehr für eine linke Sozialpolitik rausholt. Aber es stimmt, bei den Grundsätzen der Arbeitsmarktpolitik können wir nur den Druck auf die Bundesregierung erhöhen.
Sie haben gesagt, Sie sind stolz auf die gute Zusammenarbeit mit der SPD. Hand aufs Herz: In welchen Punkten sind Sie als Juniorpartner gescheitert?
Der Berlinpass sollte Geringverdienern Freizeit- und Bildungsangebote der Stadt zugänglich machen - kostenlos oder zu reduzierten Preisen. Nach harten Verhandlungen gibt es ihn aber nur für Hartz-IV-Empfänger und deren Kinder. Wir sind ganz klar darin gescheitert, die Grenze zu den Menschen mit wenig Geld zu öffnen. Es ist uns auch nicht gelungen, ins öffentliche Bewusstsein oder wenigstens in das der SPD zu rücken, dass Hartz IV nicht heißt, nicht zu arbeiten, sondern bedeutet, zu wenig Geld zum Leben zu haben. Das sind Gerechtigkeitslücken, die wir nicht wollten.
Mit Ihrem Konzept zur Erhöhung der Mietzuschüsse für Hartz-IV-Empfänger sind Sie vor ein paar Tagen vorangeprescht, obwohl es mit der SPD noch nicht abgestimmt war. Ist das jetzt doch ein wenig Wahlkampfschaum?
Angesichts der seit Jahren steigenden Mieten ist eine Erhöhung der Zuschüsse überfällig. Wenn sich im Wahlkampf aber nichts mehr bewegt und Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer von der SPD weiter behauptet, es gebe noch genügend Wohnungen, dann endet auch meine Geduld.
Bei Ihrem Amtsantritt 2009 haben Sie gesagt: Ich mache das jetzt erst mal zwei Jahre, und das ist auch okay.
Nein, nein. So war das nicht. Ich kann mich erinnern, dass ich gesagt habe, ich bringe für die zwei Jahre erst einmal meine Möbel von zu Hause ins Büro mit. Und jetzt freue ich mich, wenn ich sie nicht schon wieder zurücknehmen muss.
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