Sozialpsychologe Welzer über Klimaschutz: "Schlechtes Gewissen reicht nicht"
Der Sozialpsychologe Harald Welzer prophezeit in seinem Buch "Klimakriege" ein soziales Schreckensszenario. Und hält die aktuelle Klimadebatte nur für einen überfälligen Anfang.
taz: Herr Welzer, haben Sie letzte Nacht eigentlich gut geschlafen?
Der Sozialpsychologe ist Direktor des Center for Interdisciplinary Memory Research am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen und Forschungsprofessor für Sozialpsychologie an der Uni Witten/Herdecke.
Bekannt wurde er durch die Studie (mit Sabine Moller, Karoline Tschuggnall, Olaf Jensen, Torsten Koch) über die Art der NS-Vergangenheitsrezeption in deutschen Familien: "Opa war kein Nazi. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis" (S. Fischer 2002).
Neues Buch: "Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird" (S. Fischer 2007). Darin weist er darauf hin, dass der Einfluss von Einzelinteressen häufig zu gewaltsamen Bewältigungsstrategien von Katatrophen führt - etwa im Jugoslawienkrieg. Heute Abend stellt er es in Berlin vor (Kulturkaufhaus Dussmann, 18 Uhr). Welzer initiierte mit Claus Leggewie am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen einen Forschungsverbund "Klimakultur".
Harald Welzer: Ja.
Das wundert uns. Ihr Buch "Klimakriege" liest sich, als könnten Sie vor Sorge nicht mehr zur Ruhe finden.
Nein, nein. Es ist ja nicht damit getan, in einer Art narzisstischer Selbstkasteiung zu sagen: Oh Gott, was haben wir getan, jetzt ist nichts mehr zu machen! Aber es ist absolut notwendig, Probleme in der ihr gebührenden Dramatik darzustellen.
Hat das Publikum nach all den Jahren des Klimakatastrophendiskurses das Thema nicht langsam satt?
Unfug. Das Thema ist doch noch gar nicht richtig auf der Agenda. Was wir haben, sind all die Daten, die uns Meteorologen und Glaziologen ständig zur Verfügung stellen. Also der ganze technisch-naturwissenschaftliche Bereich.
Worauf kommt es Ihnen an?
Deutlich zu machen, dass eine Katastrophe nur dann zu einer Katastrophe wird, wenn sie auf bestimmte soziale und kulturelle Verhältnisse trifft, und sie wird auch nur im Rahmen kultureller und sozialer Frames wahrgenommen. Ohne die gibt es keine Katastrophe.
Wie sollen wir das verstehen?
Das Problem des Klimawandels sind nicht die Folgewirkungen in der Stratosphäre, sondern wie sich die konkreten Lebensverhältnisse von Menschen auf der Erde ändern. Für das, was wir als Lebensverhältnisse gewohnt sind, wird der Klimawandel gravierende Folgen haben. Dabei ist es allerdings nicht die Faktizität von Problemlagen, die Menschen zu bestimmten Interpretationen und Handlungen veranlassen, sondern das, was sie sehen und wahrnehmen.
Und das heißt für uns in Mitteleuropa?
Wir haben Wasser, wir haben Nahrungsmittel im Überfluss, wir haben perfekte Infrastrukturen, wir haben Bewältigungskapazitäten. Wir denken also naheliegenderweise: So schlimm wird der Klimawandel hier nicht werden. Das Problem taucht im Süden auf, in Sibirien auf, an den Polen auf.
Es wächst trotzdem offenbar ein Gefühl der Bedrohlichkeit
das darauf zurückgeht, dass man weiß, es handelt sich hier nicht um ein Problem, das mit dem Drehen an ein paar Stellschrauben zu lösen ist, sondern viel gravierender ist. Daraus entstehen Dissonanzen: Man glaubt sich in einer guten Welt, aber die scheint bedroht. Alle probieren, diese Dissonanz zu reduzieren. Das Bedürfnis nach einer Dissonanzreduktion ist ein großes Hindernis dabei, die Dimension des Problems zu begreifen und zu akzeptieren.
Man verdrängt das Problem?
Nein, man weiß darum - und weist es von sich. Jeder an seiner Stelle. Der Sicherheitspolitiker ist gefragt, wo es um Grenzsicherung geht, der Autofan dort, wo er sich Gedanken machen muss, welches Auto er als Nächstes kauft, die Autoindustrie grübelt, wie es um das Problem der Schadstoffoptimierung geht. Der Clou an der Sache ist nur, dass die Anpassungsstrategien, die dann stattfinden, zwar durch das Bewusstsein über den Klimawandel verursacht sind, aber möglicherweise vollkommen kontraproduktiv sind zur Bewältigung des Problems.
Immerhin haben viele Menschen, besteigen sie ein Flugzeug, ein schlechtes Gewissen.
Auch ein schlechtes Gewissen zu haben hilft schon, Dissonanz zu reduzieren, weil ich mir mit dem schlechten Gewissen sagen kann, ich bin nicht so doof wie die anderen, ich habe ja ein Bewusstsein da drüber.
Worauf wollen Sie hinaus?
Dass die Leute das Problem keineswegs verdrängen, aber die Schlussfolgerungen, die sie ziehen, verhängnisvoll sind. Partikulare Interessen sind immer wichtiger für Entscheidungen und Handlungen als so etwas Abstraktes wie die Moral oder die Rettung der Welt.
Ist bei einem globalen Problem ein gemeinsames weltweites Handeln überhaupt möglich?
Das halte ich für vollkommen illusionär. Global sind die Interessenlagen völlig unterschiedlich. In Russland interessiert sich kein Schwein für den Klimawandel.
Weil das Land den Modernierungskurs will?
Ja. Aber auch weil die Leute, die unten in dieser Gesellschaft stehen, alle möglichen Probleme haben - aber nicht, ob es irgendwie wärmer oder kälter wird.
Klimapolitiker alarmieren und meinen, dann komme die globale Reaktion im Interesse aller.
Es gibt dieses allgemeine Interesse nur in der Abstraktion. Selbst bei uns sind die Interessen so unterschiedlich gelagert, dass man sich nicht mal auf so etwas Simples wie ein Tempolimit einigen kann. Auch beim Klimaschutz werden die Lasten ungleich verteilt, da gibt es keine Interessenlagen, die gleich sind.
Ihre Analyse gibt einem das Gefühl, als stünde man vor einer schwarzen, unüberwindlichen Wand.
Nein, den Eindruck möchte ich nicht erwecken. Aber wir im Westen glauben, dass die Probleme außen liegen, nicht bei uns. Entwicklungshilfepolitik beruht auf der Vorstellung: Da sind Länder, die entwickelt werden müssen, unsere nicht.
Haben Sie eine andere Idee?
Ja, Reflexivität: Was ist unsere eigene Rolle bei dem Ganzen? Für die Klimafrage hieße das, dass man sich nicht nur Gedanken über das Abgeben von Wohlstand machen muss, sondern man sich über die Voraussetzungen des eigenen Lebensstils und Wirtschaftens Gedanken macht. Wir brauchen keine Bastelstrategien mehr.
Was wieder nur wie die übliche Verzichtslitanei klingt.
Auf keinen Fall. Das Argument, dass Verzicht nicht zumutbar sei, unterschlägt, dass wir bereits jetzt verzichten.
Inwiefern?
Es wird zum Beispiel auf Sinnerfüllungen verzichtet, die an den Konsum delegiert werden. Es wird auf mögliche Formen von Teilhabe und Gleichheit verzichtet. Man kann einfach die Perspektive umdrehen. Wir können mal sortieren, worauf wir in der Gegenwart verzichten, dadurch, dass wir diesen Lebensstil der Verschwendung pflegen. Wir verzichten auf Gerechtigkeit den kommenden Generationen gegenüber, wir verzichten auf die Einhaltung jener Moralität, die auf jeder Gedenkveranstaltung beschworen wird. Wir produzieren permanent Dissonanz.
Jetzt reihen Sie sich auch in die Schar der Konsumismuskritiker ein?
Die Kritik ist aber bei mir anders kontextualisiert. Ich möchte erst mal den Punkt erreichen, wo wir wieder die Frage stellen, wie wir leben möchten. Erst dann können wir bestimmen, was wir ändern müssen. Was in der Gegenwart passiert, ist ja im Grunde genommen ein gedankenloses Sichaufhalten im sinnfreien Universum des Kapitalismus mit der Hoffnung, dass es schon irgendwie gut geht. Vielmehr müssen wir eine identitätskonkrete Erzählung über uns selbst entwickeln.
Das heißt?
Was hat eine Entscheidung, die die Gesellschaft trifft, in der ich lebe, mit meiner oder unserer Identität zu tun? Zum Beispiel war der deutsche Verzicht auf die Teilnahme am Irakkrieg eine identitätskonkrete politische Entscheidung, in die sich eine Mehrheit dieser bundesrepublikanischen Gesellschaft einschreiben konnte und sagen konnte: Wir machen das nicht.
Wobei das kein großes politisches Ringen war.
Egal. Das ist ja nur ein Beispiel. Ebenso wäre möglich, zu einer Erzählung zu kommen, die da lautet: Wir sind nicht so blöd, mit Geländewagen über die Autobahn zu schmirgeln, wir wollen nicht diese Mobilität haben, wir stehlen nicht unseren Nachkommen die Überlebensressourcen, wir wollen nicht, dass der Rest der Welt versaut wird.
Aber just der "Rest der Welt" will so wohlhabend werden wie der reiche Westen.
Eine Ausrede. Ich finde die bereitwillige Übernahme der unterstellten Position des Inders oder des Chinesen hochgradig verdächtig. Seit Jahrzehnten diskutieren wir nicht mehr über Gerechtigkeit. Die kommt ausgerechnet zum ersten Mal auf die Agenda, wenn man den fiktiven Chinesen sagen lässt: Aber ich will doch auch den Lebensstandard haben, den ihr habt. Eine symptomatische Reaktion, an der das eigentliche Interesse deutlich wird: Dort tun sich immer noch gigantische Absatzmärkte auf, die unseren Lebensstil psychologisch bestätigen. Da spielt dann plötzlich Gerechtigkeit für Schwellenländer eine Rolle.
Wie hoch schätzen Sie die Chance ein, dass die Klimaschutzdiskussion etwas Gutes bewirken kann?
Wenn die richtigen Punkte benannt werden: relativ hoch.
Das überrascht uns.
Ich stelle fest, dass die Sensibilität für die sozialen Folgen gerade in den politischen Apparaten wächst. Außerdem nützt es niemandem, nicht auf einen Erfolg der eigenen Anliegen zu setzen.
Ist es eine Hilfe, dass es so schleichend geht?
Langsam für wen? Die Katastrophen sind in Darfur oder Tuvalu schon da. Aber solange wir hier keine Katastrophe haben, ist unser Handlungsraum relativ weit offen, und den gilt es auch zu nutzen. Wenn hingegen eine Katastrophe stattfindet, ist der Handlungsraum plötzlich unheimlich eng, und dann passieren Dinge, die man nicht mehr frei entscheiden kann. Deshalb müssen wir jetzt begreifen, wie groß das Problem ist.
INTERVIEW: JAN FEDDERSEN UND REINER METZGER
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