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Sozialhistoriker Promberger"Armut ist sehr heterogen"

Der Sozialhistoriker Promberger sagt: "Wir müssen uns überlegen, wie wir Lebensleistungen respektieren" und plädiert für eine moderate ALG-I-Verlängerung und eine differenzierte Sicht auf Armut.

"Es ist richtig, die Regelsätze für Kinder zu erhöhen." Bild: dpa
Barbara Dribbusch
Interview von Barbara Dribbusch

taz: Herr Promberger, fünf Jahre nach der Einführung von Hartz IV gibt es in der Politik einen Nachbesserungstrend, und zwar bei allen Parteien. Widerspricht die Armutssicherung durch Hartz IV dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden?

Markus Promberger: Armut ist sehr heterogen. Da gibt es beispielsweise Menschen, denen der Anschluss an die Erwerbswelt über eine Ausbildung nicht gelungen ist, Menschen, die krank sind oder die eine Scheidung hinter sich haben. Zudem haben wir unterschiedliche Zugangswege. Manche haben nie arbeiten können. Manche kommen durch persönliche Veränderungen und Krisen, andere über eine langjährige Erwerbstätigkeit und das Einzahlen in Sicherungssysteme. Letztere rechnen sich einen biografischen Verdienst zu und sehen sich nun auf einmal im selben System wie Menschen, die nie gearbeitet haben.

Entsprach die alte soziale Sicherung mit der Arbeitslosenhilfe und der früheren Verrentung mehr dem Gerechtigkeitsempfinden?

Hartz-IV-Neuberechnung

Hartz-IV-Empfänger und deren Kinder können in diesem Jahr nicht mit höheren Regelsätzen rechnen. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sagte in einem Zeitungsinterview mit der Rheinischen Post, für eine Neuberechnung der Sätze seien "zahlreiche Daten notwendig, die wir teilweise erst im Herbst bekommen". Nach ihrer Meinung mehrten sich die Anzeichen, dass das Bundesverfassungsgericht fordere, "die Methode der Berechnung aller Regelsätze zu ändern". Die Regelsätze für Kinder schon vor einer Neuberechnung zu erhöhen, hält von der Leyen nicht für sinnvoll. Ein Urteil des Gerichts zu den Regelsätzen wird Ende Februar erwartet.

***

Markus Promberger (46) 46, ist promovierter Soziologe und Sozialhistoriker. Er leitet am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg den Forschungsbereich über Erwerbslosigkeit und soziale Teilhabe.

Ja und nein. Hartz IV ist näher dran an der Armutsbekämpfung als Menschenrecht, nimmt aber die Unterscheidungen zwischen Armen und Leuten, die einen anderen Anspruch haben, stark zurück. Es gab früher einen breit gefächerten Kosmos an Versorgungsansprüchen, von Kriegsversehrtenrenten bis zur Arbeitslosenhilfe. Die Sozialhilfe, die Fürsorge war die letzte Auffangstation. Durch die Hartz-IV-Reform sind auch die Langzeitarbeitslosen in dieser letzten Auffangstation gelandet.

Welche Lösungen gibt es?

Wir müssen uns überlegen, wie wir Lebensleistungen respektieren. Ich halte die ja bereits maßvoll verlängerte Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I für langjährig Versicherte unter Gerechtigkeitsaspekten für richtig, trotz der arbeitsmarktpolitischen Nebenwirkungen.

Alleinerziehende bringen auch eine Lebensleistung und gesundheitlich Eingeschränkte haben sich mitunter einfach nur kaputtgearbeitet.

Stimmt. Es ist beispielsweise richtig, die Regelsätze für Kinder zu erhöhen. Viele andere europäische Länder leisten sich beispielsweise auch, die Tür zur Erwerbsunfähigkeitsrente offener zu halten, als es bei uns der Fall ist. Wir müssen uns mehr mit der Anerkennung von Alter, Krankheit, aber auch Erziehungsarbeit beschäftigen.

Die Regierungskoalition aus Union und FDP möchte die Hinzuverdienstgrenzen für Arbeitslosengeld-II-Empfänger erhöhen.

Es macht insofern Sinn, diese Grenzen zu erhöhen, weil damit die Motivation der Erwerbslosen wächst, sich eine Tätigkeit zu suchen. Allerdings wird es dann für Arbeitgeber noch normaler, Arbeitsplätze anzubieten, von deren Lohn man nicht ohne Geld vom Staat leben kann.

Ist die Wählerschaft überhaupt bereit, Sozialabgaben und Steuern wieder verstärkt für Armutsbekämpfung zu verwenden?

Auch wenn das Pendel in der öffentlichen Diskussion immer wieder hin und her schwingt - mal werden die Hartz-IV-Empfänger bedauert, dann wieder werden sie verunglimpft -, im Grunde aber ist die Bereitschaft zu spüren, wieder mehr öffentliches Geld für diese Aufgaben auszugeben. Denn die Gefahren von Arbeitslosigkeit, Armut und Ausgrenzung sind auch für die Mittelschichten in den vergangenen Jahren sehr konkret und greifbar geworden.

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9 Kommentare

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  • KB
    karin bryant

    Vielleicht koennen alle Lebensleistung zur Bank tragen koenenn mal erklaeren wie das geht,wie so was die Sozialsysteme unterhaelt und vor allem,wie man davon Soziale Transferzahlungen machen kann>

  • DH
    Dr. Harald Wenk

    Die "Lebensleistung" in Wirklichkeit "Arbeitslosigkeit", zum zentralen Ausgangspunkt der "Sozial"politik zu machen hat mindestesn 3 Konstruktionsfehler:

    1) Obwohl der Einzelne weder objektiv noch subjektiv

    die Möglichkeit zur Erbringung der "Lebensleistung"

    in der Hand hat, wird so gemessen, als hätte er das.

    Daher kommen die früheren "Schicksalstheorien" (Kismet, Karma, unerforschliche Wege des Herrn). Diese haben trotz metaphysischer Irrtümer und mangelnder ökonomischer Analyse einen höheren realen Erklärungswert als: Selber schuld (selbst verantwortlich für die "Lebensleistung) - und können sich deshalb weltweit halten.

    2) Die extensive "Lohnspreizung" macht diesen Masstab hoch willkürlich. Die Ersatzkonkurrenz zur Maschine

    und Verwissenschaftlichung geht voll zu Lasten der "Gemessenen".

    3) Die Enteignung und Entfremdung vom eigenen Leben durch diese "existentielle" Messung, Geld verteilt schon reale Lebensmöglichkeiten, an einen, vor allem diesen, extrem "äußerlichen" Masstab macht aus dem Bürger und Menschen eine Art "Nutztier". Da wird sogar mancherökologieorts der Kohlendixoidaustoss beim Atmen "moniert".

     

    "Entschuldigen Sie, dass ich lebe".

    "Nein, wir machen hier professioenlles positives Unrecht."

  • OM
    Oliver Mauelshagen

    Den Deutschen ist jegliche Solidarität abhanden gekommen, wenn sie sie überhaupt einmal hatten. Es geht doch immer nur darum die unzufriedene Masse am Ende der Gesellschaft machtlos zu halten und als Drohszenario für die Mittelschicht zu behalten. Das Positive an ALG II ist, dass die ausgegrenzte Masse bedrohlich groß wird. Nun wäre die Zeit über echte Veränderungen und wirkliche Solidarität nachzudenken, anstatt zu überlegen, wenn man aus der zu groß gewordenen Masse der Abgeschobenen wieder herausholt, um die verbleibenden 5 bis 10 Mio. armen Schweine wieder unter Kontrolle zu bekommen.

     

    Sorry, aber auch Eure Diskussion ist eine heuchlerische. Durch Segregation der Bevölkerung die Macht und damit die Verteilung des Reichtums zu erhalten, beherrscht der Kapitalismus, wie frühere Formen der Macht oder der Faschismus perfekt.

  • R
    reblek

    "Widerspricht die Armutssicherung durch Hartz IV dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden?" Eine zwar - wegen Sprachschwierigkeiten - unbeabsichtigte, aber nichtsdestotrotz treffende Beschreibung: "Hartz IV", benannt nach einem Kriminellen, dient der Sicherung der Armut.

  • G
    Georg

    Dem IAB fällt anscheinend auch nichts besseres ein - trotz einer differenzierten Betrachtung bez. der Entstehung von Armut - als aus der neoklassischen Volkswirtschaftslehre bez. der Entwicklung des Arbeitsmarktes zu argumentieren. Dies kommt bspw. in diesen Aussagen deutlich zum Ausdruck:

     

    „(...) Gerechtigkeitsaspekten für richtig, trotz der arbeitsmarktpolitischen Nebenwirkungen.“

     

    „Es macht insofern Sinn, diese Grenzen zu erhöhen, weil damit die Motivation der Erwerbslosen wächst, sich eine Tätigkeit zu suchen.“

     

    Verkürzt wird hier m. M. nach gesagt, dass Menschen sich Arbeit suchen würden – anscheinend auch da wäre – wenn der ökonomische Anreiz vorhanden ist. Es wird also anscheinend auch noch beim IAB immer noch in der Kategorie des Homo oeconomicus gedacht

    Dabei wird bspw. übersehen, dass Arbeit in weiten Teilen dieser Gesellschaft (leider?) weit mehr als nur ökonomische Teilhabe ist – wozu es auch umfangreiche Studien gibt die dem IAB zugänglich sein müssten.

     

    Und bez. des erwähnten Pendels sollte gesagt werden, dass dieses immer in Abhängigkeit von Wahlen sich bewegt und der damit verbundenen Verbreitung von Aussagen der konservativ-wirtschaftsliberalen Presse die keiner Untersuchung standhalten (vgl. bspw. Morgenstern).

  • JK
    Juergen K

    @ sab

     

    Die Vollbeschäftigung muss genau so weg wie die NULLbeschäftigung.

     

    Lebensleistung honorieren ? Bei 45 Jährigen T-Kom Beamten klappts.

     

    Sonst soll es von mir aus auch.

     

    Wer honoriert -ne ich sag mal-

    Wer leistet SCHADENERSATZ ?

     

    Kindern, die mit 8 Jahren ANGST vor Hartz haben,

    Denen die sich den Demütigungen der Öffentlichkeit, in forderster Front durch die VOLKSVertreter ergeben haben mussten,

    den GENÖTIGTEN, zu Selbstaufgabe, zum Aufbrauch ihres Hab und Gutes gezwungenen,

     

    denen die während die Wirtschaft den Mangel an Fachkräften lügt unendliche Bewerbungen durch die Nation schicken,

     

    diesen Unternehmen der Wirtschaft bei Erhalt des 5 euro 30 Lohnes noch Subventionen zahlen ?

     

    WER LEISTET DENEN DEN SCHADENERSATZ ?

     

    Bis zum oberen Ende der Beitragsbemessungsgrenze besteht eine Solidarität.

     

    Zumindest könnte sie bestehen, wenn sich nicht eine schier unglaubliche UNZAHL ausserhalb genau an dieser Solidarität bereichert und diese aushöhlt.

     

    Die Deutsche Bank will an allem 25% machen, der Staat will 20 MWST machen, dann sollen hier noch 15% drauf und da noch und der will noch und die Energie will usw.

     

    Wenn die alle nicht von allein überlegen, muss man die mal in ein Umerziehungslager stecken oder notfalls auch woanders hin ... .

     

    Eine geistige ARMUT und Degeneration geht seit Jahrzehnten durch die Regierungen des Landes:

     

    MAN WILL WEIS machen, das 1 oder 3 oder 5 Monate ALG I vor dem totalen Ende an der gesellschaftlichen Teilhabe das Ei des Coulumbus sind.

     

    Und wenn sogar noch die FDP 1 Monat drauflegt, halten sie Feiern an , aus den Steuern der 5 Euro Brutto Menschen.

     

    Eine solch katastrophale Desaster wird zumn Heiliger Gral der nächsten Jahrzehnte !

    Stilisiert !

     

    Währenddessen Millionen auf den Müllkippen wie in Indien sich ernähren, die Kontainer und Abfallkörbe durchsuchen und Verwelktes, im Dreck liegendes an den Ständen der Wochenmärkte zusammensuchen.

     

    UND es finden sich Drecksäcke die sich mental erheben und die Philosophuie der sozielen Martktwirtschaft erörtern.

     

    Und mit ein paar Wochen ALG I soll das erlegdigt werden.

     

    Damit alles so bleibt wie es ist.

     

    UNERTRÄGLICH !

     

    Feiern wollen sie sich das lassen........

  • VM
    Volker Messing

    Vor allem muss sich LEISTUNG wieder LOHNEN!!!! GEGEN Steuersklaverei!

  • A
    andyconstr

    Lebensleistung zu honorieren wäre gut, die Frage ist nur ob die Mehrheit dafür aufkommen würde.Denn es müssten ja höhere Abgaben verlangt werden.Das ist politisch schlecht zu verkaufen, denn die meisten wollen von ihrem Kreuzchen auf dem Wahlzettel profitieren, die Gesellschaft geht ihnen da wohl am Arsch vorbei.Obwohl es für zukünftige Generationen sinnvoll wäre, denn ohne stabile Familien.- und Erziehungsverhältnisse kriegen die nichts brauchbares zustande und die Wissensgesellschaft scheitert an mangelnder Qualifikation.Das es für das Exportland Deutschland rauher werden wird ist auch klar, die Konkurrenz schläft nicht.Das müsste man den Leuten einfach aufdrücken, dazu muß aber ein parteiübergreifender Konsens bestehen.Jetzt leben wir noch mit den menschlichen Resourcen der Vergangenheit, die zukünftgen Generationen werden aber zu spüren kriegen, wie egoistisch unsere Generation gelebt hat.Die "Leck mich am Arsch, ich bin reich" Gesellschaft, machts vor und die kleinen machens nach.So was hat keine Zukunft und das merkt man schon heute deutlich.

  • S
    sab

    Das klingt doch mal vernünftig und umsichtig. Allerdings setzt so die Schere eventuell an anderer Stelle ein. Ich träume ja immer noch von einem ganz veränderten system, das trotz Nicht-Vollbeschäftigung Perspektiven schafft. Aber das ginge nur mit Herz und Ehre...