■ Soundcheck: Art Ensemble of Chicago
Gehört: Art Ensemble of Chicago. Beim 20. Jazz-Festival in der Fabrik zeigten am Donnerstag abend fünf Schlagzeuger und Perkussionisten mehr als ihr Können. Art Ensemble of Chicago, dieses Quintett der Ausgelassenheit, pellte auf, in welcher Weise es bei dieser Veranstaltung um die Wurst geht: Die Flächigkeit der Musik und die Möglichkeit, auf sie „einzusteigen“, hatten Priorität. Introvertiertheit braucht keiner, wir kommen immer gleich zum höchsten Punkt des Spannungsbogens.
Das Bemerkenswerteste an diesen selbstgesteckten Vorgaben waren die Nebeneffekte. Denn während einer der komplexen Animationen mit dem Titel „A Salute To The African Drum“ stellte sich der große Blechbläser Lester Bowie dazu und mischte den Gesamtsound auf. Über nette, erdverhaftete Patterns spielte Bowie Jazz als Coverversion von „Free Jazz“.
Wo vor 30 Jahren noch stilistische Breschen geschlagen werden mußten, um frisch für 1964 und fortfolgend zu werden, da ging Bowie vorgestern ohne viel Anstrengung und Willen einfach noch einmal durch diese Breschen hindurch. Mit einer Art abgestandener Virtuosität spielte das nun allmählich vollständige Art Ensemble of Chicago einen fürs Herz, einen fürs Publikum und einen für das anwesende Team des NDR.
In vermeintlich gebotener Treuherzigkeit bearbeitete das Ensemble Kompositionen als Kabinettstückchen. Ein bis an die das Mundstück umschließenden Zähne mit Ausdrucksprotzigkeit bewaffneter Bowie drehte auf. Wildheit, die nicht den kleinsten Zweifel aushält, war sein Thema. Rosco Mitchell, Malachi Favours und Famodou Don Moye als Band schienen entschieden zu haben, daß heute nicht der Tag der Dynamik sei. Das zahlte ihnen Bowie mit gespreizten Läufen zurück. Im Zusammenspiel klang das nicht nach der Suche nach neuen Möglichkeiten, sondern nach dem gestauten Ressentiment eines Musikinstruments, kein Mensch zu sein, das heißt, Musik nur zu spielen aber das Wort „Jazz“ nicht aussprechen zu können.
Mit dem Auftritt der Sängerin Mari Boine ging eine seltsam durchgedrehte Einlage in vokalistisch kandierte Kadenzen über. Nach Lester Bowies Beginn wirkte das vergleichsweise konventionelle Konzert der Skandinavierin fast schon verwirrend.
Kristof Schreuf
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