■ Soundcheck: Faith No More
Gehört: Faith No More. Ist es nur eine Laune, oder wird Mike Patton in hartnäckiger Auseinandersetzung mit den Gesetzmäßigkeiten des Busineß zur tragischen Figur? War der Frontmann von Faith No More doch mit allen Attributen ausgestattet, die ihn zum strahlenden Helden machten. Mit wehender Mähne und entgrenztem Körper taugte er nahezu ideal als Projektionsfläche für erotische wie für jugendrebellische Träume. Doch Patton scheint gegen diese Bürde zu rebellieren und trat im Freitag abend ausverkauften Docks gleichsam inkognito auf. Mit verwirrtem Kurzhaarschnitt und Polizistenschnauzer unterlief er Star-Attitüden, die auf einem konstanten, ungebrochenen Image aufbauen.
Ansonsten schien er aber ganz der alte zu sein. Wie losgelassen derwischte er über die Bühne, hüpfte, tobte und brach theatralisch zusammen, die statische Haltung der Restformation mit ausgiebiger körperlicher Ertüchtigung karikierend. Diese wurde nur vom Ex-Gitarrenroadie Dean Menta unterstützt, der seinen geschaßten Chef Jim Martin zm ersten Mal live ablöste.
Im Hauptprogramm, das für viele überraschend zeitig begann, ging es Faith No More noch um die Befriedigung der Erwartungs-haltung – alte Hits wie „We Care A Lot“ schlossen an neue wie „Ricochet“ an. In den fünf Zugaben aber reizte Patton seine Stimme, zu der er immer mehr Zutrauen fand, bis ins Atemlose aus. Wie in seinen Nebenprojekten (Mr. Bungle, Milk Cult) lösten jetzt gepreßte und gestammelte Silben, die kaum noch Sinn ergeben, bräsige Balladen im Stil eines 60er-Jahre-Entertainers ab.
Dehnte er bei den Epen noch die Vokale bis ins Lallen, so zerhackte nun die Überbetonung der Konsonanten die Wortbedeutung. Von zwei Seiten her entflieht Patton so der Tyrannei der Bedeutung seines Gesangs, schafft sich die Möglichkeit der Improvisation und versteckt gleichzeitig eine Sprachkritik. Obwohl er einige Brüche auszuhalten hat, fährt er aber weiterhin zweigleisig. In den großen Hallen zieht er die Aufmerksamkeit an sich, um sein Publikum mit wohldosierten Essenzen seiner experimentellen Stimmkapriolen zu konfrontieren. Eine faszinierende Gestalt, trotz oder vielleicht auch wegen des Schnauzers.
Volker Marquardt/Foto: JMS
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