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■ Sommerserie „Sonnenstich“ (Folge 3)Der Strand-Voyeur

In Ferienzeiten flattern zuhauf unverlangt eingesandte Manuskripte in die taz-Reisredaktion. Da sind unsere LeserInnen besonders mitteilsam. In einer kleinen Sommerserie, Stichwort: „Sonnenstich“, stellen wir einige schöne Urlaubsgeschichten vor.

7. Reihe der Badeanstalt des Hotel Aurora in Rimini, mit grünweiß gestreiften Schirmen und Liegestühlen, 4. Stuhl rechts vom Mittelgang: eine blasse Blondine räkelt sich in kühn bemessenem Bikini, die pralle Sonne dringt ungeniert in die geduldigen Poren ihrer unschuldigen Haut und schenkt ihr schon ein gewisses Erröten.

7. Reihe, 3. Stuhl rechts vom Mittelgang: ein gut gewählter Platz. Der Badegast, der nun schon den dritten Tag neben mir in schweigender Nachbarschaft in seinem „EDV für Fortgeschrittene“ vorwärtsschreitet, blickt in genau bemessenen Abständen verstohlen zu seiner entschlossen dem Bräunungsziel zustrebenden Nachbarin hinüber. Es ist etwas Zugeknöpftes in seinem Blick, aber es scheint, daß die einladende Unordnung ihrer Glieder ihn in einen Zustand gewissenloser Neugierde bezüglich Herkunft, Name, Alter, Familienstand versetzt.

Er räuspert sich, legt den EDV-Ratgeber auf die Lehne seines Liegestuhls, rückt die Brille zurecht, räuspert sich noch einmal und fragt mit der schüchternen Heiterkeit einer ernsten Sympathie: „Ich gehe zum Eismann, darf ich Ihnen ein Cornetto Nuß mitbringen?“

Die bläßliche Schöne öffnet träge die Lieder, ihr glühender Blick trifft den seinen, und mit einem Aufschwung des Nackens richtet sie sich auf. „Erdbeer wäre mir lieber!“ sagt sie mit seidiger Stimme. „Übrigens, darf ich mich vorstellen“, hakt er dienstfertig nach, „mein Name ist Meiser, Albrecht Meiser ... aus Paderborn.“ „Nennen Sie mich Olga“, seufzt sie und läßt sich in den Liegestuhl zurückgleiten, „aus Witten.“

Gepackt von heiligem Übermut schwebt Albrecht förmlich zum Eismann. Wahrscheinlich fühlt er das Leben erblühen wie ein wachgeküßtes Versäumnis. Wie weit, so mag er sich fragen, ist es von Paderborn nach Witten. Nicht weit, nicht weit. Auf den Sohlen wippend kommt er zurück über betonharten Sand. Sein Blick verrät mir: Die Welt liegt ihm zu Füßen.

Jäh hält er inne, eine klebrige Kühle reißt ihn aus seinem bemitleidenswerten Zustand. Mit gequältem Blick sieht Albrecht, wie das Eis aus der Tüte quillt und auf sein Handgelenk tropft. Verwirrt blickt er um sich – ist er zu weit gegangen? Ja, befindet er sich doch auf der Höhe des Hotels Carmen, vier Sterne, viel zu weit. Albrecht lockert den allzu entschlossenen Griff seiner Finger um die Tüten und beeilt sich, durch rasche Umkehr sein blondes Ziel zu erreichen, ehe alles verflossen. Er erreicht Olgas Liegestuhl. Mit souveräner Gelassenheit hält er ihr die Tüte hin. Eine müde Tüte, gewiß, aber sei's, wie es sei.

Olga beendet mit zartem Lächeln die schonende Kur des Lesens, nimmt die Tüte und rollt mit weiblichster Einfühlung das Cornetto aus der Folienhülle. Die Enthüllung der welken, durchweichten Waffel entlockt ihr von neuem ein Seufzen.

Ihr geübter Blick schweift zu Albrecht, dem die Röte ins Gesicht schießt und sich dort ausbreitet wie eine bösartige Geschwulst von Lächerlichkeit und Beschämung.

Albrecht ist kein Meister des inspirierten Versagens, das merkt Olga wohl. In einer einladenden Art des Vergessens quetscht sie das restliche in der Tüte verbliebene Eismus in ihren Mund. Albrecht atmet auf, schöpft Hoffnung. Doch plötzlich stößt Olga einen spitzen Schrei aus und läßt die Tüte fahren ... „Das ist ja Nuß! Ich hasse Nuß!“ Schmollend sackt sie in den Liegestuhl zurück.

Albrecht Meiser taumelt, er sinkt in seinen Stuhl. Die sekundenschnelle Utopie seines Glücks dahingeschmolzen. Er preßt die klebrigen Lippen zusammen, das Hörnchen entgleitet seinem leblosen Griff. Er starrt durch die gestreiften Reihen der Stühle und Schirme auf ein offenes, seichtes, trübes Nichts ... Ralf Leicht

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