■ Sommerserie „Sonnenstich“ (4. Folge): Wir fliegen!
In Ferienzeiten flattern zuhauf unverlangt eingesandte Manuskripte in die taz-Reiseredaktion. Da sind unsere LeserInnen besonders mitteilsam. In einer kleinen Sommerserie, Stichwort: „Sonnenstich“, stellen wir einige schöne Urlaubsgeschichten vor.
Die Reise ist eine Reise auf den Mondschlag der ungewissen Botschaften. Ich schlage den Mond auf – ein Zelt, vier Stangen – und stricke mir ein Lagerfeuer am Schlafsack der Meeresbrandung. Eine Wasserflasche aus Paris ist mein einziger Freund. Ich bade Eiswürfel im vulkanischen Sand der Regenrinne und paddele gen Uranus. Ich Saturn – sonderbares Licht blendet meine herausgefallenen Kontaktlinsen, die allein und vertrocknet am Boden nach etwas Eßbarem suchen. Ich werde sie nicht mehr brauchen, denn ich hungere nach einem außerirdischen Abenteuer, das mich herauswirft aus dem galaktischen System der kriechenden Schalentiere, in dem ich weile und teile und mich langsam abseile.
Die Wasserflasche blinzelt mich an, und ich lache zurück, mein Freund, weil ich eine Eidechse bin, aus Ägypten, wo Katzen heilige Tiere sind und wir mit Füßen getreten oder gar verspiesen werden. Harte Schale und kein Kern, kryptisch, magnetisch, solvent. Weshalb ich ja auch sofort das Zelt bekommen habe. Der Vermieter legte Wert darauf, daß eine solvente Eidechse sein Zelt bemietet und also dem mondsüchtigen Rennfahrer im Zelt nebenan nicht auf der Tasche liegen würde.
Am Morgen steigt er immer so gegen sieben, oder halb sieben, auf seinen Esel und jagt ihn um den Globus, einmal, manchmal auch zweimal. Er sucht nach sinnlosen Glücksmomenten und kann deshalb nicht stillestehen. Jeden Morgen kommt er nach zweieinhalb Monaten zurück, den völlig erschöpften Esel geschultert, greift er nach meiner Wasserflasche aus Paris und besäuft sich sinnlos. Ist das das Glück?
Sieben Kinder in einer Nacht
Wenn ich in meinem Baumhaus sitze, verkleidet wie ein Junge, dann träume ich von all den Orten mit A, die ich bereisen werde, sobald ich frei bin. Dann kaue ich Tabak und klebe Glanzbilder auf meine viel zu kleinen Brüste, und dann werde ich sieben Kinder gebären in einer einzigen Nacht, und alle werden sie einen Namen mit einem A darin bekommen. Ich singe das A so schön wie keine und tanze mit einem Gartenschlauch die Polka, daß die Lüfte, in denen ich, nur ich, schwinge, für immer stillestehen, vor Andacht, vor Wehmut, wie von Geisterhand. Ich bin eine gute Fee und komme von Avalon, wo die Nebel Gedanken sind, die sich wie flüchtige Sterne unter die Haut stehlen, ins Herz. Ich kann zaubern, und wenn ich zaubere, dann werden die Wolken zu Schiffen und der Himmel zum Meer. Es leuchten rote Rosen am Firmament, und Engelschöre singen die Matthäuspassion in der Kathedrale meiner Gefühle.
Es weint ein großer Bär um jedes nicht gelebte Liebesleid, um jede längst versiegte Liebesfreud. Und ich steige in einen roten Chevrolet, durchfahre ganz Amerika bis zum Grand Canyon und falle dort hinein in die Erde, über deren Rand hinweg in eine Welt, die keiner kennt, nach der sich aber ein jeder sehnt. Ich sehe den Großen Wagen, geschmückt zum Totentanz auf einem alten Indianerfriedhof, und verkleide mich selbst als Funkenmariechen, das die Beine schwingen kann wie eine biegsame Barbiepuppe.
Die Indianer sind zunächst verdutzt, aber dann schunkeln sie mit mir, mitten im Grand Canyon, durch den der Colorado River jagt. Ich besteige ein Floß, und gemeinsam mit der Indianerprinzessin und einem Medizinmann vom Stamm der Cheyenne fließe ich gen Uranus.
Ein griechischer König in der Wüste
Warum nicht nach den Sternen greifen, denke ich in meinem Baumhaus, und besteige einen fliegenden Teppich. Aladdin ist da und seine Wunderlampe auch. Wir fliegen nach Marokko, wo mich ein Kamelfürst auf seinen Buckel nimmt, und in der Wüste lerne ich Sand zu trinken, als sei es der köstlichste Wein. Ich sammele Steine und baue daraus ein Haus, mitten in der Wüste, unter Berbern und einem verlorenen König aus Griechenland, der sich verlaufen hat vor einhundert Jahren und nicht weiß, wie er je wieder nach Hause kommen soll.
Ich grabe meine Füße in die Erde und gieße sie täglich, auf daß sie Wurzeln schlagen. Ich möchte in der Wüste bleiben, sie ist das Schönste für eine Eidechse aus Ägpyten, und ich bitte den König aus Griechenland, mich zu heiraten. Auch wenn er älter ist als ich und um so vieles trauriger, auch wenn er nicht glaubt, daß man die Sterne erreichen kann, so ist er doch ein guter Kamerad, und er versteht es, mit einer Eidechse zu leben. Das habe ich gleich erkannt.
Ich lerne Griechisch und verspreche ihm, daß wir Athen besuchen und eine griechische Insel namens Kos. Ich zeige ihm meinen Zauberstaub, und endlich bleibt er stehen. Er weint, und seine Tränen fallen auf meine im Sand vergrabenen Füße, die Wurzeln schlagen. Er baut ein Lagerfeuer aus einem alten Lindenzweig und nährt es mit den Brettern eines Baumhauses. Hand in Hand sitzen der König aus Griechenland und ich, Saturn, Eidechse aus Ägypten, auf einem fliegenden Teppich im Wüstenland, und leise erzählen wir einander das Leben.
Susanne Becker
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