Sommerfrische (IV) : Guten Hunger auf Eiderstedt
Eiderstedt im Sommer kommt dem Paradies schon ziemlich nahe. Wir fahren bis zum äußersten Zipfel der Halbinsel im schleswig-holsteinischen Wattenmeer, nach Westerhever und machen uns auf den Fußweg: Über den Deich, zwischen Schafen durchs Deichvorland und übers Watt, das in dieser Jahreszeit voller Leckereien für die Unmengen an Vögeln steckt.
Es ist ein ordentlicher Marsch, bis wir auf Westerheversand angekommen sind. Aber dafür werden wir auch belohnt: mit Einsamkeit. Der Weg trifft eine Art natürliche Auslese unter den Strandurlaubern: Fußlahme, Kinderreiche, Faule oder Unentschiedene bleiben am Deich zurück. Auf der Sandbank gilt es als widerlich aufdringlich, sich dichter als 100 Meter an andere Menschen heranzulegen.
Hier gibt es nichts – keine Frittenbude, keinen Eisverkäufer, keinen Mülleimer, „keinen Stress, keine Termine“ – das haben sogar die Werber erkannt, die hier im Nordfriesischen allerdings für ostfriesisches Bier filmen lassen.
Weit und breit nichts als Sand, Sonne, Wind, Möwengeschrei und das flache, salzige Nordseewasser, kaum erfrischend, so warm. Wir können stundenlang planschen, rennen, schwimmen. Keiner beobachtet uns und wir sehen nur den Leuchtturm auf der einen und schemenhaft ein paar Schiffe oder die Silhouette von Pellworm auf der anderen Seite.
Es ist spät geworden, weil wir uns nicht trennen können. Die Flut ist schon wieder so lange her, dass uns das Wasser auf dem Rückweg nur bis zum Knöchel steht. Wir wollen schnell noch das Salzwasser von der Haut duschen, bevor wir Abendessen gehen. Es wird halb neun, bis wir wieder unterwegs sind. Ins Fischrestaurant gleich am Ortseingang des Dorfes mit dem schönen Namen Welt? Nein, wir wollen mal die berühmte Lammküche im Weiler Warmhörn ausprobieren. Gar nicht so leicht zu finden: Wir fahren im milden Licht des Sonnenuntergangs im Quarrée zwischen Garding, Poppenbüll, Tetenbüll und Katharinenheerd. Erst beim zweiten Mal finden wir unser Ziel, aber der berühmte Lammgasthof ist verrammelt, mitten in der Hochsaison. Wir fühlen uns inzwischen wie ausgehungerte Zugvögel auf dem Weg nach Afrika und fahren schon etwas zügiger über die inzwischen in Gold getränkten, engen Straßen, an deren Rand das Gras Hüfthoch wiegt. Doch das Fischrestaurant? „Küche nur bis 21 Uhr“, heißt es. Es ist 21 Uhr sieben. Wir ahnen: Jetzt wird’s knapp. Der Möllner Hof in Welt? „Heute nich mehr.“ 21 Uhr 15.
Das mit dem Tourismus hat eben erst kurze Tradition, gerade mal hundert Jahre. Eigentlich sind die Eiderstedter Bauern, und die gehen mit den Hühnern ins Bett. Zum Glück gibt es Zugereiste: Der Wirt von Kerlins Kupferpfanne in Garding ist Schweizer und macht zu den Westküstenspezialitäten die besten Röstis nördlich von Schaffhausen. Auf dem Salat thront immer eine halbe Cherry-Tomate mit aus Käse geschnitztem Schweizerkreuz. Sein Motto: „Aus Liebe am Kochen“. Und die hält locker bis 22 Uhr an. jank