Solidarität mit Barbara E.: Willkür wie zu Kaisers Zeiten

Eine Mitarbeiterin der Supermarktkette klagt gegen ihre fristlose Kündigung. Sie soll Leergutbons unterschlagen haben. Ihr Anwalt und Ver.di vermuten politische Gründe: Die 50-Jährige hat gestreikt.

Die Arbeit einer Kassiererin wird selten gewürdigt Bild: AP

1,30 Euro - wegen dieser läppischen Summe wurde Barbara E. fristlos gekündigt. Ihr Arbeitgeber Kaisers Tengelmann wirft der Kassiererin vor, zwei Pfandbons in diesem Gesamtwert unterschlagen zu haben - nachdem sie 31 Jahre in diesem Beruf und 15 Jahre in der Kaisers-Filiale in der Hauptstraße in Hohenschönhausen gearbeitet hat. Der Verdacht ist nicht bewiesen, Barbara E. klagt gegen ihre fristlose Entlassung. Am gestrigen Donnerstag fand die Verhandlung vor dem Arbeitsgericht statt. Ein Urteil fällte der Richter aber nicht.

Der Vorwurf gegen die 50-Jährige ist schon absurd genug. Doch nicht nur E.s Anwalt Benedikt Hopmann, sondern auch die Gewerkschaft Ver.di vermuten ganz andere Gründe für die Kündigung: Ende 2007 beteiligte sich Barbara E. an einem bundesweiten Streik von Ver.di im Einzelhandel. Der Protest richtete sich gegen die Streichung von Sonderzuschlägen, etwa für Spät- und Wochenendschichten. In der Kaisers-Filiale in Hohenschönhausen, in der E. arbeitete, streikten anfangs 8 von 36 Mitarbeitern. Nach Einzelgesprächen der Distriktmanagerin mit den Mitarbeitern stand Barbara E. während der dritten Streikwelle kurz vor Weihnachten dann ganz alleine da.

Ihr Engagement hatte Folgen: Die dreifache Mutter wurde von nun an nur noch für Spätschichten eingetragen, berichtet Anwalt Hopmann. Zu einer Bowling-Party im Januar habe der Filialleiter explizit jene Mitarbeiter nicht eingeladen, die sich am Streik beteiligt hatten. Jetzt intervenierte der Betriebsrat, die Folge: der Filialleiter wurde versetzt, so der Anwalt.

Im Februar erhielt Barbara E. ihre Kündigung. "Das ist unterste Schublade", erklärte die 50-Jährige am Donnerstag. Nach 15 Jahren in jener Kaisers-Filiale sei sie nun auf Hartz IV angewiesen. Auch ihre 90-Quadratmeter-Wohnung scheint plötzlich zu groß - das Jobcenter hat Barbara E. aufgefordert, sich eine günstigere Bleibe zu suchen.

"Es geht zunächst darum, dass Barbara wieder ihren Job kriegt", betonte Gregor Zattler vom Unterstützerkreis, der vor allem aus Freunden der Kassiererin und Gewerkschaftsmitgliedern besteht. Doch gleichzeitig hat der Rechtsstreit Symbolcharakter. Denn Grundlage aktueller Rechtsprechung ist das 1984 vom Bundesarbeitsgericht gefällte "Bienenstichurteil", das die außerordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers bei dringendem Verdacht auf Veruntreuung oder Unterschlagung ermöglicht. Diesen Freibrief zur "Verdachtskündigung" kann E.s Anwalt Hopmann nicht nachvollziehen. "Das widerspricht jedem Gerechtigkeitsgefühl." Im Fall seiner Mandantin gehe es um "extrem geringe Beträge", zudem gab es nie eine Beweisaufnahme.

Der Richter sprach während der rund 45-minütigen Verhandlung fortwährend von einem "offensichtlich vollendeten Betrug". Barbara E. hat diesen stets bestritten. Der Richter hatte Mühe, der angespannten Atmosphäre im mit rund 30 Zuschauern voll besetzten Gerichtssaal Herr zu werden. Das Angebot eines Vergleichs während der Verhandlung lehnte Barbara E. ab. "Die verdrehen alles, was ich sage, ins Gegenteil", klagte sie nach der Verhandlung und meinte damit ihren ehemaligen Arbeitgeber.

"Das Vertrauen zu einem solchen Mitarbeiter ist unwiderruflich gestört", begründete die Rechtsanwältin von Tengelmann Kaisers dessen Position. Der bewertet den Verdacht als Tatsache und sieht sich im Recht. Weitere Stellungnahmen waren von der Supermarktkette nicht zu erhalten: Laufende Verfahren kommentiere man nicht.

Der Richter sprach am Donnerstag kein Urteil. Anwalt Hopmann glaubt, dass die Klage gegen die Kündigung abgewiesen wird. Für diesen Fall kündigte er an: "Wir gehen in die nächste Instanz." Für Barbara E. geht es um ihre Existenz. Für Kaisers Tengelmann könnte das Verfahren teuer werden - teurer zumindest als 1,30 Euro.

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