„So kalt ist das Wasser jetzt nicht mehr“

FREIBAD Vorne am Beckenrand posen die Halbstarken, im Sandstreifen buddeln die Mütter, und hinten ziehen sich genervte Frauen zu den Schwulen zurück. Ein Mikrokosmos zwischen Wasser und Wiese. Und auf dem Turm stehen Miodrag Jugovic und Benjamin Winter und passen auf, dass keiner untergeht

■  Die Meister: Miodrag Jugovic, 55, arbeitet seit 17 Jahren im Brentanobad in Frankfurt am Main. Benjamin Winter, 30, seit sieben.

■  Das Bad: Das Brentanobad gilt als größtes Freibad Europas, das Becken ist etwa 220 Meter lang und bis zu 50 Meter breit. Das Bad wurde 1930 an einem Altarm der Nidda eröffnet und in den sechziger Jahren vom Fluss abgetrennt. Als 2003 die Schließung zur Debatte stand, gründete sich die Bürgerinitiative Pro Brentanobad, in der sich unter anderem Lokalpolitiker und der Leiter des benachbarten Jugendclubs engagierten.

■  Der Spaß: Als Lektüre zur Badesaison empfiehlt die sonntaz „Rund um’s Freibad“, einen Band mit Zeichnungen von Heinrich Zille über Badende zu Beginn des 20. Jahrhunderts und den taz-Freibadblog: blogs.taz.de/prinzenbad

INTERVIEW LUISE STROTHMANN
FOTOS BERT BOSTELMANN

Das Schwimmbecken des Brentanobades liegt in der Wiese wie eine große Flunder. Es beschreibt immer noch den Bogen des Niddaarms, in dem hier gebadet wurde, bis in den sechziger Jahren das Flusswasser zu schmutzig geworden war und die Stadt Frankfurt das Becken abtrennte. 9.500 Quadratmeter misst die Wasseroberfläche, das ist so groß wie ein Fußballfeld. An diesem Samstagmorgen um 11 Uhr schwimmt nur ein einziger Mann darin. Als die Sonne herauskommt, dreht er sich auf den Rücken und lässt seinen Bauch bescheinen.

taz: Passen Sie jetzt zusammen auf den einen Menschen auf?

Benjamin Winter: Zwei Positionen am Becken sollten immer besetzt sein, wenn jemand schwimmt.

Miodrag Jugovic: Der geht nicht unter. Ich kenne ihn schon. Der braucht kaltes Wasser, das ist gut gegen sein Rheuma. An Land läuft er krumm, aber hier drin – wunderbar.

Winter: So kalt ist das Wasser jetzt nicht mehr.

Winter kickt den Schlappen ab und steckt einen Fuß ins Wasser.

Winter: 23, 24 Grad.

Ist Ihr großer Zeh ein Thermometer?

Jugovic: Das trainiert man sich an. Plusminus ein Grad.

Bademeisterfähigkeiten.

Jugovic: Schwimmmeister.

Was ist so schlimm an dem Wort „Bademeister“?

Winter: Gar nichts. Aber Bademeister gibt es nur im medizinischen Bereich.

Jugovic: In Kurbädern. Der macht Schlammanwendungen.

Winter: Mein Beruf heißt Fachangestellter für Bäderbetriebe.

Warum sind diese neuen Bezeichnungen immer so lang?

Winter: Schwimmmeister sind die Leute, die am Wasser stehen. Fachangestellter für Bäderbetriebe ist ein Ausbildungsberuf. Man lernt alles, was man braucht, um ein Schwimmbad zu leiten: retten, Dienstpläne schreiben, Wasseraufbereitungsanlage. Früher waren Technik und Wasseraufsicht getrennt. Jetzt machen wir alles.

Jugovic: Ich will bald auch noch mal in die Schule, den Fachangestellten machen mit 55.

Winter: Da musst du aber trainieren.

Jugovic: Ist eine Herausforderung. Und ich will ihn ein bisschen ärgern.

Ist Bademeister – Schwimmmeister – ein Kindheitstraumberuf, den man sich erfüllt, wie Feuerwehrmann?

Winter: Nein, ich habe vorher eine Ausbildung zum Bürokaufmann gemacht, wollte aber eigentlich was mit Sport machen.

Jugovic: Bei mir war’s auch Zufall. Ich bin Schlossermeister und Drehermeister, ich habe zwei Meistertitel.

Winter: Jetzt sind es drei: Schwimmmeister.

Jugovic: Und Saunameister – im Winter sind wir ja im Hallenbad und machen Saunaaufgüsse. Und Hausmeister. Ich habe früher freiwillig bei der DLRG gearbeitet. Dann haben sie mich gefragt, ob ich dableiben möchte, als Schlossermeister für die ganzen Bäder.

Können Sie sich erinnern, wie sie schwimmen gelernt haben?

Winter: Ich hab es mir selbst beigebracht, relativ spät, mit neun oder mit zehn.

Jugovic: Ich war klein und bin abgehauen mit den Jungs. Ich habe eine Clique gehabt, alle älter als ich. Wir sind zum Fluss, zur Donau in Belgrad, wo ich gelebt habe. Und dann bin ich da rein.

Und erst mal untergegangen?

Jugovic: Normal, klar. Die anderen, die haben mir geholfen.

Heute springen Sie ins Wasser, wenn ein Kind untergeht.

Jugovic: Das ist eine Lebensaufgabe, was man hier macht. Das Gefühl, wenn man jemanden rettet – das ist eine Bestätigung, die man kaum beschreiben kann. Da kommt eine zu mir und gibt mir einen dicken Kuss, und ich denke: hübsches Mädchen. Und die sagt: Vor fünfzehn Jahren hast du mein Leben gerettet. Und ich kann mich gar nicht mehr erinnern. Da sind die Emotionen natürlich Wahnsinn.

Wie oft muss man wirklich jemandem das Leben retten?

Jugovic: Vor ein paar Jahren habe ich jemanden rausgeholt, der hat schon unten auf dem Boden gelegen. Ein alter Mann, 75 war der. Er hat einen Sonnenstich bekommen und war bewusstlos. Es war viel los, ich habe ihn noch schwimmen sehen. Ich schaue zu den Kindern, und als ich wieder gucke, liegt er auf dem Boden. Und ich bin gesprungen. Ihn raus, Erste Hilfe, gepumpt, alles.

Winter: Zwei Minuten später war der Rettungshubschrauber da und ist hier auf der Liegewiese gelandet. Der Mann hat überlebt.

Jugovic: Das sind dann richtige Gefühle. Da betest du zu Gott, dass er leben soll, dieser Mensch, hier, jetzt, in diesem Moment.

Wie viel dröger Alltag liegt zwischen diesen starken Gefühlen?

Jugovic: Die Wiese muss gemäht werden, die Bäume müssen geschnitten werden, das Wasser muss vorbereitet werden. Die Scheiße von den Enten und Gänsen muss weggemacht werden jeden Morgen, das ist wenigstens eine Stunde, anderthalb Stunden Arbeit.

Winter: Eigentlich hätte heute ein Junge kommen sollen, um zwei Stunden Müll auf der Wiese aufzusammeln. Der hat in der Umkleidekabine mit dem Feuerlöscher rumgesprüht. Ich habe gehört, wie ein Mann schreit: Was soll die Scheiße! Ich dachte, es brennt – wegen des weißen Rauchs. Normalerweise gibt es bei so etwas Hausverbot. Aber der ist vielleicht zwölf Jahre alt, und die Mutter hat geweint, da haben wir gesagt, er kann kommen und hier sauber machen.

Der Badegast ist inzwischen aus dem Wasser gestiegen und hat sich auf einer Bank am Beckenrand ausgestreckt. Von der Rollschuhbahn nebenan rennen Kinder heran und werfen noch im Laufen Rucksäcke und Trainingsjacken ins Gras. Benjamin Winter und Miodrag Jugovic gehen zum Stützpunkt der Schwimmmeister. Dort gibt es marokkanischen Pfefferminztee im Glas mit viel Zucker. Die Minze stammt vom eigenen Beet nebenan.

Das Freibad ist ein Mikrokosmos. Viele unterschiedliche Menschen eng an einem Ort.

Winter: Und alle halb nackt.

Jugovic: Die können plötzlich nicht mehr erkennen, wer was ist.

Winter: Das ist das eigentliche Thema in Bädern. Draußen auf der Straße profilieren sich die Leute durch Kleidung. Der Polizist durch seine Uniform, der Banker durch seinen Anzug, und die Jugendlichen haben ja auch ihre Dresscodes. Aber hier drinne sind sie alle gleich. Bei manchen sinkt dadurch vielleicht die Gewaltbereitschaft.

Gleichheit macht friedlicher?

Winter: Du musst dich mehr profilieren, um mit dazuzugehören, ohne Statussymbole.

Jugovic: Durch Körpersprache: sich aufbauen, Blicke. Aber auch allein schon durch die Zugehörigkeiten, wer wo liegt.

Jede gesellschaftliche Gruppe hat hier einen festen Platz?

Winter: Es hat sich eine Aufteilung herausgebildet. Hier vorne, die Hauptwiese, das ist unsere Promenade. Hier liegt alles, was gesehen werden will. Jugendliche …

Jugovic: … die Möchtegerns …

Winter: Dort beim Sand, wo es flach ist, sind nur Mütter mit Kindern und Familien. Da hinten, auf der anderen Seite, da ist die gleichgeschlechtliche Ecke. Aber da liegen auch viele Frauen, die keinen Bock haben, von Männern angesprochen zu werden.

Ist das Freibad mit all dem Balzen ein Ort, wo Ehen entstanden sind und Kinder?

Winter: Kinder? Kann ich nicht ausschließen. Ehen? Wahrscheinlich. Natürlich ist es eine Kontaktbörse. Ich bin früher auch nicht nur ins Schwimmbad gekommen, um zu baden.

Jugovic: Aber das ist alles dezent.

Greifen Sie ein, wenn es zu körperlich wird?

Jugovic: Auf jeden Fall.

Wie sagt man so was?

Jugovic: Die wissen das schon, wenn ich komme, bevor ich etwas sage.

Winter: Küssen, knutschen ist ja in Ordnung.

Haben Sie Ihre Liebsten nicht im Freibad kennengelernt?

Winter: Sie meinen das alte Bademeisterproblem – zu viele schöne Frauen? Eindeutig nein. Aber ich durfte letztes Jahr für meine Flitterwochen ausnahmsweise im Sommer Urlaub machen, das gibt’s sonst nicht.

Jugovic: Ich habe noch nie im Sommer Urlaub gemacht. Aber dafür verbringe ich, wenn ich es mir leisten kann, den Winter in Kolumbien, meine Frau kommt von dort. Da bin ich kein Bademeister, sondern Großvater.

Winter: Ein größeres Problem als das Baggern ist, dass sich viele hier auf der Wiese umziehen. Da gucke ich schon danach und spreche die Leute auch an. Vor allem Männer.

Was ist dabei, auf der Wiese die Badehose auszuziehen?

Winter: Kein Kind und keine Frau braucht im Schwimmbad einen Nackten zu sehen, den sie nicht sehen möchte. Der mit dem Handtuch dasteht und sich abreibt. Es gibt Umkleiden, da können sie sich in einem geschlossenen Raum ausziehen, wo es sonst niemand sieht. Es gibt einfach Leute, denen macht es Spaß, sich nackt zu zeigen, und wenn es nur 0,1 Prozent sind, muss ich das trotzdem unterbinden.

Es gibt zwei Forscher, die das Verhalten von Menschen im Freibad untersucht haben. Für ein Buch, das sich mit den diffizilen Regeln tolerierter Nacktheit beim Baden und Sonnen beschäftigt. Die Autoren beschreiben ein ziemlich kompliziertes Gebilde offizieller und inoffizieller Regeln.

Winter: Bei uns ist es so, dass oben ohne nicht verboten ist – nur wenn sich Dritte dadurch gestört fühlen. Wenn Leute zu mir kommen und sagen: Die Frau schwimmt oben ohne, dann gehe ich hin und sage ihr das.

Aber bei Kindern zum Beispiel ist es dann doch wieder erlaubt, dass sie nackt sind, oder?

Winter: Im Wasser müssen Kleinkinder und Babys Schwimmwindeln tragen.

Jugovic: Da gibt es schon sehr schöne, die sehen richtig niedlich aus. Wenn ein bisschen rausläuft, ist das nicht so schlimm. Wichtig ist, dass die Brocken drinbleiben. Sonst muss man das ganze Wasser vom Kinderplanschbecken ablassen. Hier vorne beim Hauptbecken muss einer mit dem Köcher das Zeug rausholen.

Mal ehrlich, eigentlich pinkelt doch jeder ins Becken, oder?

Winter: Du pinkelst schon deshalb ins Becken, wenn du reingehst, weil du die Harnstoffe über die Haut absonderst. Und das ist eigentlich nichts anderes wie einmal Pipi machen. Man muss es ja nicht gewollt machen. Aber das sind Sachen, die man nicht nachprüfen kann.

Also, man erkennt die Leute nicht?

Jugovic: Doch, wenn man ihnen in die Augen sieht. Am entspannten Gesichtsausdruck.

Wie können Sie beide den ganzen Tag aufmerksam sein?

Winter: Man sieht schon, wenn die Leute ins Wasser gehen, bei wem man ein bisschen mehr gucken muss. An den ersten Metern, wie sie schwimmen. Und dann hat man so seine Personen im Wasser, nach denen man öfter guckt. Aber man muss alle im Auge behalten.

„Und die sagt: ‚Vor fünfzehn Jahren hast du mein Leben gerettet.‘ Wahnsinn!“

MIODRAG JUGOVIC

Wie geht das im größten Freibad Europas?

Winter: Im letzten Jahr hatten wir mal vier Tage hintereinander über 10.000 Besucher, an einem sogar 12.800. Dann sind allein sechs, sieben Personen zur Wasseraufsicht am Becken. Danach freut man sich über einen Tag, an dem es kalt ist und regnet. Es ist ja deine Verantwortung, wenn da was passiert. Wenn jetzt einer untergeht, dann kommt die Staatsanwaltschaft.

Jugovic: Normal.

Winter: Die Leute sehen, da sitzt einer auf dem Turm und guckt …

Jugovic: … schön gebräunt …

Winter: … aber wenn hier einer untergeht, und der Kollege weiß nicht, wie er ihn wiederbeleben soll, und es wird dann rekonstruiert, dass er deswegen bleibende Schäden hat, kann der Kollege dafür haftbar gemacht werden.

Jugovic: Deshalb bist du unter Strom, unter Spannung. 120 Volt, 380 Volt, die ganze Zeit.

Entlädt sich diese Spannung manchmal an den Badegästen?

Jugovic: Nicht grundlos.

Winter: Natürlich versuchen Jugendliche, ihre Spielchen zu treiben mit den Bademeistern. Wenn einer verbietet, hier vorne zu springen, dann geht man halt da hinten hin. Dann lauern sie: Guckt er gerade? Und wenn du wegschaust, siehst du im Augenwinkel, dass er doch reinspringt.

Jugovic: Nach einer Weile sagst du: Junge, jetzt ist es mal gut. Und Respekt haben die immer noch.

Winter: Viele sagen ja, dass die Jugendlichen keinen Respekt mehr vor dem Alter haben. Aber ich glaube, dass es früher eigentlich genauso gewesen ist. Vielleicht ist die Gewaltbereitschaft bei manchen ein bisschen gesunken. Zumindest hier in Frankfurt-Rödelheim. In Berlin soll es ja ein Schwimmbad mit eigenem Sicherheitsdienst geben.

Aber hier in Hessen hat Roland Koch doch auch eine ordentliche Kampagne gefahren mit seinen „kriminellen ausländischen Jugendlichen“.

Winter: Ja, und wo ist er jetzt?

Jugovic: Eben. Den kannst du vergessen. Hier in Frankfurt geht so eine Kampagne nicht. In Frankfurt war das immer wie in New York, hier gibt es einen großen Ausländeranteil, sehr viele verschiedene Leute, die sich vermischen. Und das mit dem Gewaltverhalten ist alles Erziehungssache. Als ich hierherkam, hatte ich schon was zu tun. Aber mit den Jahren wurde das besser.

Sie haben die Leute erzogen?

Jugovic: Ja, kann man so sagen. Ich war in den jungen Jahren bisschen krass.

Winter: Er ist ruhiger geworden.

Hat das funktioniert, diese Sheriffmethode?

Jugovic: Sehr gut. Ab und zu ein paar Beschwerden, aber sonst …

Winter: Es gibt da diesen Spruch: Der ist von der alten Schule. Und es ist gut, wenn es solche Leute gibt. Aber manchmal ist eben die Diplomatie der bessere Weg.

Wie sehen Sie sich – als Sozialarbeiter?

Winter: Ich bin eher der Diplomatische. In der Ausbildung und bei Weiterbildungen bekommen wir auch Lehrgänge in Konfliktmanagement, das braucht man auch. Wie man Leuten gegenübertritt, dass sie nicht gleich auf 180 sind.

Jugovic: Das war immer meine Methode. Ich habe die immer auf 180 gebracht.

Winter: Er ist sehr direkt manchmal, kann auch manchmal in die Hose gehen, und ich bin dann derjenige, der schlichten muss.

Jugovic: Böser Junge und lieber Junge, den Trick gibt’s ja auch.

Winter: Ja, wir ergänzen uns.

Luise Strothmann, 25, sonntaz-Redakteurin, hat ihre Jugend in Mecklenburger Seen verbadet. Ohne Bademeister

Bert Bostelmann, 51, freier Fotograf in Frankfurt am Main, mag in Freibädern die Grün- und Blautöne