■ Smog wird zum Normalzustand: Wenn der Alarm die Politik ersetzt
Hochdruck, Inversionswetterlage: Die Großstädte in Italien (und anderen Ländern) sind am Ersticken. In Mailand wie in Triest, in Turin und in Genua, in Rom und in Bari ist die Luft ungenießbar geworden. Angesichts der nun körperlich spürbaren Folgen für ihre Gesundheit akzeptieren die Menschen drastische Restriktionen wie etwa das völlige Fahrverbot oder die „targhe alterne“, die Abwechslung von Betriebserlaubnissen an geraden und ungeraden Tagen je nach der letzten Ziffer des Kfz- Kennzeichens.
Doch sie fragen sich auch: Was ist eigentlich getan worden zwischen der vorletzten und der letzten, zwischen der letzten und der aktuellen Smoglage? Seit 1986 gibt es immer wieder Smogalarm, doch getan wurde faktisch nichts. Außer den dann im akuten Fall verhängten Fahrverboten, die offenbar der Weisheit letzter Schluß sind.
Doch tatsächlich kommen nur 30 Prozent der Luftverschmutzung von den Autos, der übergroße Rest kommt von Heizungen und industriellen Großanlagen. In aller Ruhe wird jedoch ungeschützt weiterproduziert; die Heizungen erwärmen die Büros und Wohnungen weit über 20, oft bis 25 Grad und darüber hinaus. Das ist zwar verboten, doch das Verbot wird nicht durchgesetzt, nicht mal überprüft. Schwefelanhydrid, neben Kohlenmonoxid Hauptursache für die Atemnot, kommt vor allem aus thermoelektrischen Kraftwerken, und viele davon haben noch immer „Auslaufschutz“, bevor sie sich rigideren Filtervorschriften unterziehen müssen.
Auch für den Kraftverkehr gibt es nur Improvisation, keine Projekte mit langfristiger Genesungswirkung. Schnelle Trambahnen, elektrische Mini- und große Oberleitungs-Busse könnten innerhalb kürzester Zeit auch den Massenverkehr von Schadstoffen abkoppeln. Doch für derlei gibt es allenfalls steuerliche Anreize oder Zuschüsse, nicht aber Zwangsvorschriften zu ihrer Einführung. In der Stadt Perugia zum Beispiel werden Steigungen und Gefälle seit langem mit Rolltreppen bewältigt. Der Erfolg ist groß, doch eine Breitenwirkung in anderen Städten gibt es nicht.
Statt dessen erfinden unsere Politiker und Administratoren ständig Systeme, mit denen der Smogalarm noch schneller, noch werte-genauer, noch drastischer gegeben werden kann. Doch was nützt der Alarm, wenn die Politik ihn nicht auf Dauer überflüssig zu machen sucht? Wenn wir nicht bald mit der Sanierung durchgehend ernst machen, werden wir auch im Jahr 2000 noch das System der „abwechselnden Kennzeichen“ anwenden. Mario Fazio
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