: „Sklaven waren besser ernährt als Meßcheten“
■ Usbekistan: Pogrome gehen weiter / Deputierter erläutert Ursachen
Moskau (ap) - Die durch einen ethnischen Konflikt ausgelösten blutigen Unruhen in der Sowjetrepublik Usbekistan weiten sich immer noch aus. Aufgebrachte Menschenmengen stürmen einem Bericht der Moskauer Regierungszeitung 'Iswestija‘ vom Freitag zufolge Polizeistationen und andere Behördengebäude, um an Waffen zu kommen. Die Zahl der Todesopfer ist laut 'Iswestija‘ auf rund 80 gestiegen, über 800 Menschen sind verletzt, 300 festgenommen worden. Mehr als 550 Häuser und fast 300 Fahrzeuge wurden angezündet. Im Kongreß der Volksdeputierten in Moskau wurden elende Lebensbedingungen in der asiatischen Sowjetrepublik als wahre Ursache der Unruhen angeprangert. „Immer öfter werden Angriffe auf Gebäude des Innenministeriums und der Polizei unternommen“, schrieb die Regierungszeitung. „Der Zweck ist, Waffen zu erbeuten.“ Der Volkdeputierte Alexi Jastrebow hatte am Donnerstag in einem Interview berichtet, Parteifunktionäre hätten bei einer nichtöffentlichen Sitzung ein härteres Vorgehen in Usbekistan gefordert, wo bereits über 9.000 Mann Sondertruppen eingesetzt sind. Nach Berichten der Medien zögert die Führung jedoch, reguläre Streitkräfte in Marsch zu setzen. In Kokand war der 'Iswestija‘ zufolge ein Meßchetenviertel von Usbeken gestürmt worden, die 80 Häuser in Brand setzten. Vorangegangen war die Erstürmung einer Polizeistation und anderer Amtsgebäude durch eine mehrtausendköpfige Menschenmenge, die dabei drei Pistolen erbeutete und die Freilassung von zwölf Polizeihäftlingen erzwang.
Der Deputierte Jakubow vertrat vor dem Kongreß der Volksdeputierten die Ansicht, die schwarzen Sklaven der amerikanischen Baumwollplantagen seien besser ernährt worden als die Männer und Frauen, die heute auf den Baumwollfeldern Usbekistans unter glühender Sonne und in Kontakt mit gefährlichen Pflanzenschutzmitteln arbeiteten. Junge Usbeken, sagte er, seien so unterernährt, daß viele nicht in die regulären Streitkräfte aufgenommen werden. Jakubow stützte die These usbekischer Nationalisten, daß die den Usbeken von Moskau aufgezwungene Baumwollmonokultur die Bevölkerung davon abhalte, für die eigene Ernährung zu produzieren. Er fragte: „Wenn Baumwolle schon so wichtig ist, warum ist denn dann unser Baumwollpreis der niedrigste in der Welt?“ Das Drängen auf eine Erhöhung der Baumwollerzeugung habe die Betriebe gezwungen, die Umwelt mit Kunstdünger und Pflanzenschutzmitteln zu verseuchen. „Unsere Region steht am Rande einer ökologischen Katastrophe.“
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