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Archiv-Artikel

Simulieren statt probieren

Manager, Ärzte und Piloten üben immer öfter mit Computerprogrammen statt am realen Objekt. Die Serious Games Conference auf der Cebit zeigte bemerkenswerte Perspektiven – und Grenzen

VON ANNEDORE BEELTE

Frank ist ein echter Kotzbrocken. Während Teamleiterin Iris noch telefoniert, schiebt er schon den Kopf durch die Tür und ätzt: „Hatten wir nicht zehn Uhr ausgemacht?“ Das Renitenz-Niveau des Mitarbeiters lässt sich per Mausklick regulieren – und damit auch der Schwierigkeitsgrad in dem Manager-Trainingsprogramm, das die Firma Daesign entwickelt hat. Der Spieler steuert Iris’ Handlungen auf der cockpitartigen Schaltfläche zwischen umschmeichelnd und autoritär hindurch: Soll sie Frank den Platz am Kaffeetisch anbieten oder ihn vor ihrem Schreibtisch kauern lassen?

Das klingt nach harter Arbeit. Doch die mit einem munteren Thriller-Soundtrack unterlegte Intro zum Spiel beharrt darauf: Was die aufstrebende Führungskraft hier erwartet, ist „Fun“. Außerdem, fügt Damian Nolan von Daesign hinzu, erspare das Programm der Firma 1,3 Millionen Euro Weiterbildungskosten im Jahr. Es empfindet Situationen aus dem Business-Alltag authentischer nach als mancher Spielfilm – Körpersprache, Störfaktoren und Kommunikations-GAUs inklusive. „Serious Games“, definiert Sylvius Lack von der Entwicklerfirma Serious Matters, „setzen Computerspiel-Technologien ein, um ein anderes Ziel als Spielspaß zu erreichen.“ Die „ernsthaften Spiele“ sind zur Boom-Sparte in der Branche geworden. Ärzte üben Operationen mit dem „Interactive Trauma Trainer“. „Global Conflicts: Palestine“ macht den Israel-Palästina-Konflikt anschaulich.

Die niedersächsisch-bremische Medienförderung Nordmedia lud bereits zum dritten Mal auf der Cebit zum Branchentreff. Erstmals wurde im Rahmen der „Serious Games Conference“ auch ein „Serious Games Award“ verliehen. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) outete sich bei der Preisvergabe selbst als Zocker und hob das wirtschaftliche Potential der Games-Branche in Niedersachsen hervor. Ein „Leuchtturm“ in der Ausbildung von Nachwuchs-Entwicklern sei die Hochschule der bildenden Künste in Braunschweig, findet Sebastian Wolters von Nordmedia. Gleichzeitig aber wird Christian Pfeiffer, Leiter des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen, nicht müde, Computerspiele für die Verrohung der Jugend verantwortlich zu machen und Verbote zu fordern. „Früher hat man Bücher verbrannt“, kommentiert Sebastian Wolters. Doch aus der Verbotsinitiative, an der sich auch Christian Wulff beteiligt hatte, sei nichts als ein Preis der Bundesregierung für Spieleentwickler hervorgegangen.

In der Wirtschaft, beobachtet Award-Gewinner Winfried Diekmann von der Firma Aerosoft, sei die Branche ihr Schmuddelimage längst nicht los. Offiziell arbeiten deutsche Industrie-Schwergewichte nicht mit Spieleentwicklern zusammen. „Das wäre so, als ob bekannt würde, dass Alete mit Kittkatt kooperiert“, beschreibt er. Ausnahmen gibt es im militärnahen Bereich. Genau hier liegt ein Kerngeschäft der Serious Games, seit Atari 1980 auf der Grundlage des Spielhallen-Hits „Battlezone“ ein Übungsprogramm für Panzerfahrer entwarf. Heute, sagt Noah Falstein, ein Altmeister der Branche, beschwichtigend, dienten Kriegssimulationen auch dazu, Soldaten deeskalierende Umgangsformen nahe zu bringen: „Nimm’ den Tee, der dir von einem Einheimischen angeboten wird.“ Oder zu therapeutischen Zwecken: Traumatisierte Soldaten durchleben das Erfahrene noch einmal. Es gibt Varianten, bei denen die Kameraden dem Spielenden über die Schulter schauen und per Kopfdruck abstimmen: War das Verhalten richtig oder falsch? Hier zeigt sich, welche Macht dem zukommt, der entscheidet, welches Verhalten im Spiel belohnt wird. Belohnung ist das Kapital, mit dem Computerspiele wuchern: „Hey, du hast es fast geschafft“, ermuntern sie auch bei eher lausiger Leistung.

„Persuasive Game“ werden Spiele genannt, die ihre erzieherischen Möglichkeiten im Dienst einer moralischen Botschaft ausreizen. „Deine Luftverschmutzung ist zu hoch“, belehrt das Öko-Strategiespiel „Imagine Earth“ seine Spieler und befiehlt: „Reduziere sie und pflanze Wälder.“ Statt mahnender Worte werden den Spielern die Konsequenzen ihres Handelns vorgeführt – im Schlechten wie im Guten. Zwei andere Award-Gewinner richten sich an Kinder: Die niedliche Trivial-Pursuit-Variante „Frag’ mal die Maus“ und das Jump-and-Run-Spiel „2weistein“. Letzteres ist für Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom und Rechenschwäche gedacht. Ein Spiel für Erwachsene, von dem die gleiche Faszination wie von einem zweckfreien Game ausgeht, suchen Fans bislang noch vergeblich.