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Short Stories from AmericaVon Listen und Leuten

■ Bill Clintons Sorgen zum Amtsantritt – nichts gegen meine

Vielen Leuten in Amerika tut Bill Clinton leid, jetzt, da er die Schlüssel zum Königreich in der Hand hält. Schon zeigt sich die Presse kritisch, und die Öffentlichkeit fordert, daß alles in Ordnung gebracht wird, was seit Reagan schief gelaufen ist. Oder seit Nixon, oder gar seit Johnson? Meine Eltern, Tante Flo und die Onkel Mo, Arnie und Max führen Listen, die bis zu Eisenhower zurückreichen, und angeblich will auch mein Onkel Bill aus dem Grabe auferstehen, um dem neuen Präsidenten eine Liste seiner Beschwerden zu überreichen.

Mir erscheinen Clintons Schwierigkeiten nicht gar so schlimm. Was ist daran so übel, wenn er es jetzt, wie Jane O'Reilly schrieb, zu tun kriegt mit „Leuten aus dem Norden, Süden, Osten und Westen und Leuten aus der Mitte, mit afroamerikanischen Leuten, mit schwarzen Leuten, hispanischen Leuten, Latino- Leuten, Chicano-Leuten, Leuten, die spanisch sprechen, aber zu keiner der oben genannten Gruppen gehören, mit karibischen Leuten und eingeborenen amerikanischen Leuten, mit Kriegsveteranenleuten, schwulen Leuten, lesbischen Leuten, Leuten, die immer noch nicht wissen, wie sie sich in ihrer Sexualität festlegen sollen, Leuten mit Aids, Leuten mit anderen Krankheiten als Aids, mit reichen Leuten und finanziell angeschlagenen Leuten, mit sprachgestörten Leuten, klatschhaften Leuten, alleinstehenden Leuten und Eltern-Leuten und Kinder-Leuten und Leuten in der Rehabilitation, mit asiatischen Leuten, Leuten von den Ländern um den Pazifik, mit Buchhalterleuten und weißen männlichen Leuten „an der Macht“ wie ihm selbst. Ich könnte noch die Perot-Leute hinzufügen, die mittlerweile Aufnahmegebühren erheben, wenn sich jemand ihrem Schimpfkonsortium anschließen will. Was ist schon dabei, wenn er diejenigen, die Saddam Hussein loswerden wollen, mit jenen versöhnen muß, die den Guten als Waffe gegen den Iran behalten wollen? Wenn er sich mit den Leuten auseinandersetzen muß, die in Somalia den guten Onkel spielen, aber aus dem Krieg sich heraushalten wollen, und mit den Leuten, die den Kurden im Irak die Freiheit bringen, aber aus dem Krieg sich heraushalten wollen, und den Leuten schließlich, die Liberia, Angola, Mosambik, Zaire und Kenia nur das Beste bringen, aber aus dem Krieg sich heraushalten wollen? Was ist so schlimm daran, wenn Clinton es mit Liberalen zu tun hat, die im Namen der Freiheit gegen Handelsschranken sind, und mit Liberalen, die im Namen der Arbeiterklasse (und einem Defizit von 50 Milliarden Dollar im Jahr 1992 allein im Handel mit Japan) höhere Handelsschranken wollen? Wenn er einen Ausgleich finden muß zwischen Leuten, die zum langfristigen ökonomischen Vorteil Amerikas in Rußland investieren wollen, und den Leuten, die das aus dem gleichen Grunde ablehnen – wie auch zwischen jenen Leuten, die mit China Handel treiben wollen, um mehr Menschenrechte durchzusetzen, und solchen, die es aus dem gleichen Grund ablehnen.

Was ist so schlimm daran, wenn Clinton mit einem Schlag vierzig Jahre schlechter Industrieplanung, den Niedergang von Forschung und Entwicklung, eine Firmenpolitik des schnellen Dollars und eine Arbeitslosigkeit beheben soll, die laut Arbeiterführern bei 14Prozent liegt, wenn man diejenigen mitzählt, die Teilzeitarbeit haben, aber ganztags arbeiten wollen, und diejenigen, die die Arbeitssuche längst aufgegeben haben. Wenn die Arbeitslosen nicht mehr nur aus der Industrie kommen – die wir 25 Jahre lang vernachlässigten – sondern auch aus Branchen, die angeblich im Aufschwung waren, wie die Datenverarbeitung. Wenn Clinton es mit einer IBM zu tun kriegt, die soeben die Entlassung von Tausenden von Arbeitern angekündigt hat. Was soll das Gewese darum, daß er das Vertrauen in die Finanzpolitik der Regierung wiederherstellen muß, nachdem zwei Mitglieder des Bush-Kabinetts im Direktorium bankrotter Banken saßen. Was ist so schlimm daran, wenn Clinton mit Leuten zu tun hat, die haitianische Flüchtlinge vor der Militärregierung ins Land lassen wollen, und mit anderen, die dagegen sind, ganz zu schweigen von Leuten aus anderen umkämpften und verarmten Ländern, die sowieso der Meinung sind, die Haitianer würden bevorzugt, und anderen, die überzeugt sind, wirklich bequem hätten es nur die Puertoricaner, weil sie als Einwohner eines US-Territoriums jederzeit auf das Festland emigrieren können. Was ist so schlimm daran, wenn Clinton die Trümmer der Iran-Contra-Vertuschung und der Irak-Vertuschung aufsammeln muß (als Bush so lange Waffen an Saddam lieferte, bis dessen Leute in Kuwait einzukaufen begannen). Und wenn er ein Justizsystem in Ordnung bringen muß, das noch zu leiden hat unter Bushs Weihnachtsamnestie für die Verurteilten und Angeklagten der Iran- Contra-Verfahren – zu schweigen davon, daß Bush ab dem 15. Januar die Computerbänder des Weißen Hauses und des Nationalen Sicherheitsrates vernichtet, zwei Gerichtsbeschlüssen zum Trotz, wonach diese Bänder für die Iran-Contra-Untersuchung

relevant wären? Was ist so schlimm daran, wenn Clinton seine Amtszeit mit Regierungsangestellten beginnen muß, die Bush aufforderte, am Tag von Clintons Amtsübernahme zu kündigen?

Das alles steht Clinton jetzt also ins Haus. Als Geschenk zur Amtseinführung biete ich ihm meinen Lieblings-Cartoon (siehe Abbildung), und außerdem bin ich davon überzeugt, daß seine Probleme nicht halb so schlimm sind wie meine. Denn auch mich beschäftigt so allerlei: Was sollte der ganze Aufstand über Zoe Bairds Babysitter? Baird, Clintons Kandidatin als Justizministerin, beschäftigte als Babysitter eine peruanische Frau und ihren Mann als Teilzeitfahrer. Sie hatten keine Arbeitspapiere, und die Presse ist empört. Baird sorgte dafür, daß die Frau (und damit automatisch auch ihr Ehemann) eine grüne Versicherungskarte bekam; danach bezahlte Baird die Sozialversicherung für das Paar, die sich über die Jahre angesammelt hatte. Nun ist mir nicht klar, was daran falsch sein soll, wenn Baird für zwei Leute, die sowieso schon im Lande sind, Arbeitspapiere besorgt, so daß sie Steuern zahlen (was illegale Arbeiter nicht tun) und ihren Beitrag zur amerikanischen Wirtschaft leisten. Noch unklarer ist mir, wer sich eigentlich um die Wollmäuse kümmern soll, unter denen Washington versinken müßte, wenn alle illegalen Hausangestellten entlassen würden? Republikaner und Zeitungsredakteure haben anscheinend keine Dienstmädchen.

Außerdem beschäftigt mich die Spaltung des Landes angesichts des Vorschlags, Homosexuelle in die Armee aufzunehmen. Die Gegner haben offensichtlich recht. Man stelle sich vor, wie unerträglich die unerwünschten sexuellen Anspielungen und geilen Blicke sein müßten, wie das Selbstvertrauen der Militärs untergraben würde und ihre Leistungen sänken, sobald sie mit Menschen arbeiten müßten, die sie im Geiste ausziehen. Wie können Offiziere vor Wehrpflichtigen ihre Autorität aufrechterhalten, wenn die sie als Sexualobjekte betrachten? General Colin Powell, der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, hat die Pflicht, dem Militär eine solche Gefährdung zu ersparen. Und den Rest gibt mir schließlich die endlose Berichterstattung über den Fall Kathy Beers auf den Titelseiten der New York Times, News Day, The Daily News, The New York Post und USA Today. Beers, ein zehnjähriges Mädchen aus Long Island, war Gegenstand einer langen Sorgerechtsauseinandersetzung und Opfer wiederholter sexueller Belästigungen, bevor sie von einem Freund der Familie entführt und 16 Tage lang in einem Keller festgehalten wurde. Die Frage, was mit ihr geschehen sollte, seit sie von der Polizei entdeckt wurde, hat die Öffentlichkeit stärker beschäftigt als die Kriege in Irak, in Somalia und Bosnien, als die Wirtschaft, Zoe Baird und die Homosexuellen in der Armee. Dabei ist die Lösung doch so einfach: das Sorgerecht kriegt Mia Farrow. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Meino Büning

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