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Short Stories from AmericaMit der einen Hand zu geben, was die andere nimmt

■ Reaganomics als mehr oder weniger geistiges Erbe: Bob Dole schützt die Kassen Amerikas. Seine Frau Elizabeth wird wissen, warum.

Bob Dole hat einen schweren Job. Als oberster Republikaner im Senat müßte seine standfeste Tapferkeit eigentlich im ganzen Lande ein Begriff sein – allerdings muß ich zugeben, daß das zu meinen Freunden noch nicht durchgedrungen ist. In meinem Beisein haben sie ihn des öfteren mit verschiedenen Arten kleiner Nagetiere verglichen – ziemlich kleinlich, wenn auch dem Anschein nach berechtigt – und alberne Anspielungen auf seine schwindende Haarpracht von sich gegeben. Solcherlei Dank erhält Bob für etwas, wozu heutzutage nur wenige bereit sind. Zur höheren Ehre seiner Partei, zur ständigen Erinnerung an die beiden letzten Präsidenten und zum Wohlergehen seiner gutsituierten weißen Wähler opfert er seinen Ruf. Er zieht gegen die Armenhilfe vom Leder, gegen die Hilfe für die von Hungersnot und Überschwemmung Betroffenen – warum? Damit diejenigen unter uns, die es geschafft zu haben glauben (niemals mehr als ein Drittel der Amerikaner), auch weiterhin auf die fortschrittliche Reaganomics-Politik stolz sein können.

Bob Dole erspart ihnen die Mühe, über sich selbst nachzudenken, zu schweigen von der Rechnerei mit Wirtschaftszahlen. Er läßt sich Herzlosigkeit vorwerfen und nimmt die öffentliche Verachtung auf sich – ganz wie Jesus. Niemand weiß das besser als seine Frau, aber das ist nun wieder eine andere Geschichte.

Welcher vernünftige Mensch, welche vernünftige Partei würde sich gegen die Hilfe für die überschwemmte Mitte der Vereinigten Staaten aussprechen? Nach einem verregneten Sommer mit der schlimmsten Flut seit Menschengedenken, mit Schäden für Ernten, Häuser, Geschäfte, Straßen und andere Bereiche der Infrastruktur, die 100 Milliarden Dollar überstiegen? Clinton hielt drei Milliarden Bundeshilfe für angemessen. Manche Industrieländer hätten zehn Milliarden nicht für zuviel gehalten, aber das galt nicht für die Republikaner. Sie weigerten sich, Clintons Hilfegesetz zuzustimmen, solange er nicht aus anderen Sozialprogrammen drei Milliarden herauskürzte. Während die Nachrichtensendungen allabendlich neue Rekordzahlen für vertriebene Menschen und überschwemmte Gebiete verkündeten, erschien es den meisten Leuten nicht der rechte Zeitpunkt, um mit der einen Hand zu geben, was man mit der anderen nahm. Aber die Republikaner im Kongreß blieben stur, damit sich alle bestätigt fühlen konnten, die den Demokraten Verschwendung vorwerfen wollen. Das ergibt keinen Sinn? Macht nichts – es ist ja auch unsinnig, den Brotkorb eines Landes im Schlamm versinken zu lassen. Entscheidend wichtig ist die ständige Wiederholung, nicht etwa ein neuer Text. Und den Text der Republikaner kann niemand besser aufsagen als Bob. Er steht wie eine Eins, egal worum es geht, selbst wenn ihn das Volk für selbstsüchtig hält. Er weiß das besser als seine Frau Elisabeth, aber das ist nun wieder eine andere Geschichte.

Welcher vernünftige Mensch, welche vernünftige Partei würde sich gegen ein nationales Arbeitsprogramm wenden, demzufolge junge Menschen im Ausgleich für Regierungsstipendien Aufgaben im öffentlichen Dienst übernähmen? Für fünf- bis zehntausend Dollar pro Student könnte sich die Regierung Arbeitskräfte mit Collegeausbildung verschaffen, für Bereiche wie innerstädtische Schulen und Krankenhäuser, für die Drogenrehabilitation und ländliche Gesundheitsprogramme. Und für die Überschwemmungshilfe.

Clinton legte dieses Programm in einem Jahr vor, in dem der amerikanische Durchschnittslohn niedriger liegt als jemals seit 1967 (inflationsbereinigt). Achtzehn Prozent der ganztags Beschäftigten leben mit ihren Familien unter der Armutsgrenze – seit 1979 eine Zunahme um zwölf Prozent. Die größten Einkommensverluste erlitten die Beschäftigten ohne Collegeausbildung. Wer das College absolviert hat, verdient heute 50 Prozent mehr als Beschäftigte, die nur die Volksschule absolviert haben. Der amerikanische Arbeitsminister hält diese Kluft für tiefer als in jedem anderen Industrieland.

Clintons Programm würde 25.000 junge Menschen sofort aufs College schicken und in jedem folgenden Jahr mehr. Es ist wirklich nicht leicht, Einwände gegen dieses Projekt zu ersinnen – außer für Bob Dole. Als der Kongreß das Gesetz unmittelbar vor der Sommerpause verabschiedete, fand er dies „bedauerlich“. Bob hielt es für Verschwendung. Mutig vertritt er diese Position, auch gegen alle Vernunft, nur zur höheren Ehre seiner Partei. Deshalb nimmt Bob öffentliche Beschimpfungen ebenso gelassen auf sich wie den Vorwurf, er sei ein geiziger Trottel. Niemand weiß das besser als Elisabeth.

Als Präsidentin des amerikanischen Roten Kreuzes hat sich Elisabeth Dole für Clintons Public-Service-Programm ausgesprochen. Insbesondere vertrat sie die Ansicht, es werde „die Ethik der Bürgerverantwortung wiederbeleben, lokale und ganz unterschiedliche Organisationen in die öffentlichen Dienstleistungen einbeziehen, die Vermehrung bereits bestehender erfolgreicher Programme erleichtern und Menschen jeden Alters – mit oder ohne Stipendien – die Mitarbeit ermöglichen“.

Die Doles standen sich in den Zeitungen plötzlich auf verschiedenen Seiten gegenüber. Nur durch Spaltenlinien getrennt, bemühten sie sich nach Kräften um gute Haltung, und man fragte sich, wie es bei ihnen zuhause aussah. Ich nicht. Ich weiß, daß Elisabeth weiß, daß Bob nicht herzlos ist, und daß er kein Nagetier ist, und daß seine schwindenden Haare nichts über seine Geisteskräfte aussagen. Besser als alle anderen weiß sie, daß er all das nur für die Partei tut – damit die Anhänger von Reagan und Bush auch weiterhin glauben können, sie hätten recht gehabt. Sie weiß, daß Loyalität über alle Vernunft hinaus nur schwer zu finden ist. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning

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