Sex-Talk, Folge 1: „Lass uns vögeln“

Aron und Ruth sprechen über alles, aber nie über Sex. Woran liegt das? Das Protokoll eines Abends, an dem es dann (endlich) doch zur Sprache kam.

die Autor:innen des Textes auf einer Party

Ruth und Aron auf einer Party. Mit wem sie heute Abend wohl im Bett landen?! Foto: Axel Bradatsch

Von ARON BOKS und RUTH FUENTES

taz FUTURZWEI, 25.05.2023

Aron, Berlin Kreuzberg 21:00 Uhr

Mira und ich, Ruth und Arsen treffen uns zum ersten Mal in der Ankerklause am Kottbuser Damm, trinken ziemlich schnell ziemlich viel Gin Tonic und auf einmal reden wir über ... Sex.

Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Boks, 26, wird gefördert von der taz Panter Stiftung.

Er wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Fuentes, 28, ist taz Panter-Volontärin in der taz-Redaktion.

Sie wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und ist seit Oktober 2021 taz Panter Volontärin.

Ruth, Arsen und ich sind gute Freunde. Mira und ich sind gerade erst dabei, uns kennenzulernen. Eigentlich hatte ich nicht geplant, heute mit mehreren Leuten über Sex zu sprechen – aber wenn, dann wäre das für mich keine große Sache, dachte ich zumindest noch bis gerade eben.

Erstmal drüber reden!

Gerade hatte ich einen russischen Autor auf der Flucht interviewt. Er sagte, dass es für ihn das Schwierigste sei, über Sex zu schreiben. „Entweder man schreibt Pornografie oder viel zu verblümte Romantik, dabei kommt es doch auf das Dazwischen an!“

Wir sprachen jedoch nicht darüber, woran das liegen könnte, und erst auf dem Rückweg wurde mir klar, dass gerade diese Unbeholfenheit selbst das Problem sein könnte. Was ich Mira als progressiver Mann auch gleich aufgeregt erzählen wollte.

„Ich glaube, das Schreibproblem liegt daran, dass allgemein in unserer Gesellschaft im Alltag zu wenig über Sex geredet wird.“

Sie sah mich verwundert an.

„Also, ich rede mit meinen Freundinnen viel über Sex“, sagte sie. „Aber meine männlichen Freunde reden darüber zum Teil nicht. Und schon gar nicht so detailliert wie meine Freundinnen und ich.“

„Aber warum glaubst du könnte es so sein?“

„Weil für uns der Sex nicht pauschal gut ist, sondern die Qualität meistens damit zu tun hat, was im Detail passiert.“

Männer brauchen nicht über Sex zu reden?

Und jetzt sitzen wir hier mit Ruth und Arsen, während das Thema im Diskurs mutiert: Mira redet über Sex in der Literatur, Ruth über Sex in der Musik, Arsen nickt immer wieder, und ich traue mich nicht, auch nur irgendetwas zu sagen.

Progressivität sieht anders aus, denke ich. Aber da komm' ich nie hin, wenn ich weiter einfach schweige, denke ich, trinke meinen Gin Tonic aus und erzähle dann noch mal von meiner Begegnung mit dem fremden Autor und dessen Problem, über Sex zu schreiben.

„Männer tauschen sich nicht aus über Sex, machen stattdessen einen auf schüchtern, während Frauen darüber sprechen müssen, weil sie in ihrem Begehren meistens vernachlässigt werden“, sage ich schließlich und exe den letzten Schluck aus meinem letzten Glas. „Das zeugt ja von einer übelsten Ungerechtigkeit, die wir in unserer Gesellschaft haben.“

Ruth, Berlin-Kreuzberg 2:31 Uhr

Aron und Mira sind gegangen. Arsen und ich bleiben zu zweit in der Kneipe zurück. Beschließen, noch einen Gin Tonic zu bestellen. Arons steile These über Frauen, die in ihrem Begehren vernachlässigt werden, geht mir nicht aus dem Kopf.

Schwachsinn. Sollte das auf die meisten Frauen zutreffen, dann können die respektiven Sexpartner:innen doch in dem Moment auch keinen wirklich erfüllten Sex gehabt haben. Das Geilste daran, ist doch den anderen geil zu machen. Oder?!

Außerdem kenne ich unzählige Männer, die ziemlich großmäulig über ihre sexuellen Erfahrungen sprechen, denke ich und ärgere mich, Aron nicht direkt geantwortet zu haben.

Aber mir ist auch etwas schwindlig und warm und ich weiß nicht, ob es eher an Arsens warmer Hand auf meinem Schenkel liegt oder dem gefühlt vierten Gin heute. Vermutlich an beidem.

Hundert mal gevögelt, aber nie geredet

Dann fällt mir auf, dass wir bestimmt schon hunderte von Male miteinander gevögelt haben, aber kaum über Sex geredet. Eigentlich noch nie. So ungefähr sage ich es auch Arsen, der gerade dabei ist, sein Getränk in großen Schlucken auszutrinken, um möglichst schnell mit mir nach Hause zu gehen. „Warte, warte!“ Ich schaue ihn von der Seite an. Wir sind eindeutig beide betrunken und horny.

„... vielleicht ist jetzt endlich der Moment gekommen? Lass uns über Sex sprechen!“ Ich rücke etwas von ihm weg, um mich in diesem intellektuellen Gespräch nicht durch Körperlichkeit ablenken zu lassen.

„Ich rede aber nicht gerne darüber, ich habe viel lieber Sex.“

„Ich weiß, ich doch auch. Aber ...“

„Die meisten Leute reden entweder darüber, um irgendwie zu prahlen oder weil sie Probleme haben.“

Da stimme ich ihm zu. Ich denke daran, dass die meisten Sex-Gespräche, die ich mit Freunden – tatsächlich mit Frauen und Männern gleichermaßen, lieber Aron – geführt habe, selten offen und ehrlich waren. Eher verkrampft, prüde, unsicher oder eben um anzugeben. Meistens mit sehr verstörenden Einblicken in die Sexualität anderer.

Vielleicht ist das das unweigerliche Ergebnis in einer hochsexualisierten und zugleich prüden Gesellschaft, die zum großen Teil über heimliches Pornoschauen „aufgeklärt“ wird? Und vielleicht doch ein Grund viel, viel mehr über Sex zu reden?

Lust ist für Frauen komplizierter

„Erstmal muss du mit dir selbst klarkommen, wissen was dir gefällt. Das ist doch eigentlich schon das wichtigste, nicht?“ sagt Arsen. „Klingt wie ein Allgemeinplatz, aber ich kenne so viele Frauen, die über ihren eigenen Körper nicht Bescheid wissen.“

Ich nicke und muss an Freundinnen von mir denken, die mit Mitte zwanzig noch nie einen Orgasmus hatten. An andere, die erst merkten, wie sich Lust wirklich anfühlen kann, nachdem sie die Pille abgesetzt hatten. An so viele Leute, die denken, Masturbation und sogar auch Sex seien etwas Männliches. Die Frau sei zu überreden.

„Also, sorry, aber wenn ich mein Gegenüber überreden muss, dann habe ich auch kein Bock mehr“, sagt Arsen und rückt wieder näher an mich ran.

„Ich doch auch nicht.“

Diesmal lege ich meine Hand auf seinen Schenkel. Ich erzähle ihm, wie mich auf dem kleinstädtischen Gymnasium ein Mitschüler warnte, dass ich aufpassen soll, keine „Schlampe“ zu werden, weil er mich mit verschiedenen Typen hatte knutschen sehen.

„Da loszulassen und eine entspannte Sexualität zu entwickeln, ist auch nicht einfach ...“

„Was für ein Arschloch!“ sagt Arsen und fängt an, meinen Hals zu küssen. Mir ist jetzt echt heiß.

„Okay, genug geredet für heute“, sage ich. „Lass uns vögeln!“

Wird Aron den Grund seiner Verklemmtheit in der Gesellschaft erforschen können? Und spricht Ruth endlich mit ihren Freund:innen darüber, wie sich für sie befriedigender Sex anfühlt? Fortsetzung folgt!

Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.

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