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Serie Hegemonialmacht USA (6)Ohne Drive in Postfordismus

■ Der gewerkschaftliche Organisierungsgrad in den USA ist denkbar gering / Trotz widriger Umstände auch viel eigene Schuld

Die Horrormeldungen sind bekannt: Unter dem Ansturm der Weltmarktkonkurrenz sind die US–Gewerkschaften gezwungen, in einer Industriebranche nach der anderen Massenentlassungen, drastische Lohnkürzungen und Verschärfung des Arbeitstempos hinzunehmen. In manchen Bereichen droht ihnen gar, gänzlich aus den Betrieben herausgedrängt zu werden. Entsprechend schrumpfte seit 1979 ihre industrielle Mitgliederbasis um ca. 30 Prozent. Doch damit nicht genug: Dem Verlust in den „fordistischen“ Branchen (den traditionellen Fließbandbereichen) stehen keine Gewinne in den postfordistischen Wachstumssektoren (den High– Tech–Branchen) gegenüber. Von den 1.900 Mitgliedsunternehmen des Verbands der Elektronikindustrie sind nur 90 gewerkschaftlich organisiert, was ungefähr zwei Prozent der gesamten Beschäftigten in dieser High–Tech– Industrie entspricht. Im schnell wachsenden Dienstleistungsbereich, in dem zwei Drittel aller Lohnabhängigen beschäftigt sind, beträgt der gewerkschaftliche Organisierungsgrad gerade sieben Prozent. Nur im öffentlichen Dienst gibt es Zuwächse. Für den gewerkschaftlichen Mißerfolg in diesen Bereichen kann die ausländische Konkur renz nur indirekt verantwortlich gemacht werden. Liegt es dann etwa am schlechten Image der Gewerkschaften? Zwar lehnen viele die Gewerkschaften als solche ab, aber wünschen sich durchaus tarifvertragliche Absicherungen. Oder liegt es am Glitzer der High– Tech–Arbeitsplätze? Wohl kaum, denn für die Beschäftigten in der Produktion bedeuten Silicon Valley und viele andere High–Tech– Zentren schlecht bezahlte Arbeitsplätze ohne Aufstiegsmöglichkeiten, unqualifizierte und langweilige Arbeit und die größten Gesundheitsrisiken in der US– Industrie überhaupt. Zudem können seit 1985 einige Firmen ihre viel gerühmte Arbeitsplatzgarantie nicht mehr aufrechterhalten. Auch das „open–door“–Management der großen, etablierten Elektronikkonzernen wie IBM, das gewerkschaftliche Vertretungsgremien überflüssig machen soll, erweist sich immer wieder als „out the door“ für diejenigen, die vom betrieblichen Beschwerdewesen Gebrauch machen wollen. So bilden sich immer wieder Gruppen von High–Tech Beschäftigten, die eine Gewerkschaft gründen wollen. Doch ihre Bemühungen waren bisher ohne Erfolg. Auch können sie kaum noch mit der Unterstützung bestehender Gewerkschaften rechnen. Im Unterschied zur BRD können näm lich neue Mitglieder nicht individuell geworben, sondern nur durch betriebliche Anerkennungswahlen in der direkten Konfrontation mit den UnternehmerInnen gewonnen werden. Nach etlichen erfolglosen Wahlkampagnen haben die Gewerkschaften anscheinend das Handtuch im High–Tech geworfen. Die High– Tech–Manager verstanden es, durch aufwendige, nicht immer legale Propagandakampagnen, kleine Zugeständnisse, Betriebsverlagerungen und Massenentlassungen Anerkennungswahlen zu ihren Gunsten zu entscheiden. Der Wille, die Gewerkschaften mit allen Mitteln vor der Tür zu lassen, ist zur Regel geworden. Von 1950 bis 1980 haben sich die Meldungen wegen unfairer Verhaltensweisen (meistens Entlassung von Gewerkschaftsaktivisten) um ein siebenfaches erhöht. Seit Reagan einen ausgesprochenen Gewerkschaftsgegner zum Leiter der Aufsichtsbehörde industrieller Beziehungen (NLRB) berief, werden die unternehmerischen Regelverstöße auch kaum noch geahndet. Hauptwaffe dieser Behörde ist allerdings die schleppende Bearbeitung von Wahlanträgen, denn jede Verzögerung der Wahlen vermindert deutlich die Chancen der Gewerkschaften auf Sieg. Insgesamt haben sich die Erfolgsaussichten auf 50 Prozent reduziert, wobei sich wiederum, auch als Folge der Verzögerungstaktik der NLRB, in nur 50 Prozent der erfolgreich bestandenen Wahlen Tarifverträge durchsetzen lassen. Von eigener Schuld können die Gewerkschaften jedoch nicht freigesprochen werden. So scheinen sie der Mitgliederwerbung, trotz aller gegenteiliger Beteuerungen, keinen hohen Stellenwert beizumessen. Im Durchschnitt sind nur 2,5 Prozent der hauptamtlichen FunktionärInnen für die Rekrutierung neuer Mitglieder abgestellt. Diese verbringen zudem noch einen Großteil ihrer Zeit mit dem gegenseitigen Abjagen von bereits organisierten Belegschaften. Viele Funktionäre scheinen sich davor zu fürchten, idealistische und somit hochmotivierte „Organizer“ einzusetzen. Radikaler als sie selbst könnten diese Aktivisten auf der Basis der neuen Mitglieder die etablierten Strukturen der Gewerkschaft in Frage stellen. Nur, auf bürokratischem Wege lassen sich gegen den erbitterten Widerstand der Unternehmer keine neuen Mitglieder gewinnen. Historischer Ort der geringen Organisierungsbemühungen ist die abgebrochene „Operation Dixie“. Durch diese sollte in den unmittelbaren Nachkriegsjahren die Organisierung der ArbeiterInnen in den Südstaaten nachgeholt werden. Sie scheiterte aber bald an der mangelnden Solidarität zwischen Weiß und Schwarz. Auch die Gewerkschaftslinken schreckten davor zurück, die Gleichstellung der Schwarzen kompromißlos voranzutreiben, beinhaltete dies doch die direkte Konfrontation mit einer der tragenden Säulen der Roosevelt–Koalition, die Southern Dixiecrats, den rassistischen Eliten des Südens. Der unterbliebene Angriff auf die Bastionen der Dixiecrats zeitigte bittere Folgen. Als Bollwerk der Restauration beschnitten letztere den politischen Aktionsradius der Gewerkschaften dauerhaft. Unmittelbare Folge war damals der Taft–Hartley Act, der die Rechte der Gewerkschaften bei Organisierungskampagnen stark einschränkte. Als Reaktion zogen sich die Gewerkschaften auf ihre Hochburgen, den fordistischen Branchen, zurück, wo sie in militanten, ökonomischen Streiks den Unternehmen beträchtliche materielle Zugeständnisse abringen konnten. Nicht nur wurden die Prinzipien des Inflationsausgleichs und der Ankoppelung der Reallohnentwicklung an das Produktivitätswachstum erkämpft, sondern es wurde der Willkür des Unternehmers innerhalb der Fabrik enge Grenzen durch genaue Tätigkeitsbeschreibungen gesetzt. In weiteren Arbeitskämpfen wurden betriebliche Sozialleistungssysteme durchgesetzt, deren Leistungsniveau sich durchaus mit dem der bundesdeutschen Errungenschaften vergleichen ließ. Doch nun, da diese Bastionen vom Weltmarkt gestürmt werden, fehlt es den Gewerkschaften an politischem Einfluß, die Rahmenbedingungen zur Rekrutierung neuer Mitglieder zu ihren Gunsten zu ändern. Ein Hoffnungsschimmer für die US–Gewerkschaften mag in einer historischen Parallele liegen. Schon einmal verschlief die US– Gewerkschaftsbewegung die Herausbildung eines neuen Akkumulationsmodells. Damals verhinderte hauptsächlich die ethnische Spaltung der europäischen Einwanderer die Organisation der neuen Massenproduktionsbetriebe. Erst duch ein allgemeines Aufbegehren der Arbeiterschaft gelang die Schaffung von Industriegewerkschaften. Heute mag die Gewerkschaft der Hotelangestellten (HERE) ein Vorbote für eine neue Gewerkschaftsbewegung darstellen. In Boston konnten mit der Unterstützung von Stadtteilinitiativen spektakuläre Erfolge gegen die führenden Hotels erzielt werden. Wo bürokratische Gewerkschaften keine Grundlage für Erfolge sehen, hilft basisdemokratischer Aktivismus, die geschlechtliche und die multi– rassische Aufsplitterung des Hotelpersonals zu überwinden, und eine starke Gewerkschaft zu bilden.

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