■ Serie Denk-Mal: Das Gedächtnis des Ortes, Teil 4: Ein Kaiser wie Deutschland
Nur selten beweist der Geist der Nation, unterwegs im Dienste der Ahnen, soviel Instinkt wie am deutschen Eck. Hier fließen nicht nur Rhein und Mosel zusammen, sondern werden sich in Kürze auch historischer Rückgriff und Beschwörung der Zukunft auf unnachahmliche Art vereinen. Der Kaiser kommt! Anfang September wird das Reiterstandbild von Wilhelm I. auf dem Koblenzer Tortenstück seinen alten Platz einnehmen. Was heißt hier Anachronismus? Hier nimmt sozusagen die Gesinnungslage der Nation höchstselbst Platz. W.I. ist ein Kaiser wie Deutschland.
Die nationale Größe von W.I. war nie so augenfällig wie an seinem jetzigen Standort. Im Koblenzer Industriehafen überragen seine 14 Meter Bronze mühelos Berge von Eisenschrott und aufgetürmte Container. Umgeben von dieser Zivilisationspracht, umsorgt von einem Hofstaat von Kranführern, Schweißern und Hafenarbeitern wird Majestät für seinen Auftritt am Deutschen Eck repräsentabel gemacht. Bis heute ist W.I. – schließlich hat er drei Kriege geführt, die Deutschland nach innen stärkten – ein Symbol der Einheit. Das läßt sich vom Kran, aus dreißig Metern Höhe betrachtet, überblicksmäßig feststellen. Da sind seine Einzelteile: sie sollen zusammengeschweißt werden, wollen aber nicht recht zusammenpassen. Da ist die künstliche Patina: die wird über den Torso gekleistert, damit man die Bruchstellen nicht sieht. Da ist der martialische Gesichtsausdruck: die Verantwortung umgeschnallt und den Säbel gleich mit. Das Ganze monumental, aber innen hohl – und schon ein klein wenig (von Vögeln) angeschissen. Tatsächlich ein Denkmal, das den Untertanen die pädagogische Idee, sich für Volk und Vaterland zu begeistern, nahe bringt wie kein anderes.
1897 ließ Wilhelm II., der einen dynastischen Kult um seinen Opa veranstaltete, das Standbild errichten. Als Provokation gegen den „Erbfeind“ Frankreich. 1945 von den Amerikanern erfolgreich als Zielscheibe benutzt, 1953 als Sockel vom Bundespräsidenten zum Mahnmal der deutschen Einheit erklärt. Als 1987 der Koblenzer Verleger Theisen drei Millionen für ein neues Reiterstandbild spendieren wollte, ging der Kaiserschmarrn los: zwischen den Befürwortern eines „kulturpolitischen Zeitdokuments ohne politische Wertung“ und den Gegnern der „Restauration von Preußens Gloria“. Zwischen der Stadt Koblenz und dem Land Rheinland-Pfalz, das als Besitzer des Deutschen Ecks für die millionenteure Instandsetzung des Granit-Sockels nicht aufkommen wollte. Zwischen Politikern, zwischen Experten, zwischen Bürgerinitiativen. Der Denkmalsponsor ist tot, doch W.I. hat es nach sechs Jahren geschafft.
Er ist ja auch nicht an einem Tag Kaiser geworden. 51 war er schon und noch immer Kronprinz, als ihn die Revolutionäre von 1848/49 ausrufen ließen: „Wir müssen die Aufrührer mit Kartätschen zusammenschießen!“ was ihm den Beinamen „Kartätschenprinz“ eintrug. Er haßte alle Liberalen und alles Demokratische. Später als preußischer König wollte er partout nicht Kaiser werden, bis Bismarck ihn überredete. Doch durfte er sich nicht mal „Kaiser von Deutschland“ sondern nur „deutscher Kaiser“ nennen, um die Fürsten nicht zu vergrätzen.
Mit kriegerischem Prunk, umgeben von Generälen und Offizieren ließ er sich 1871 in Versailles krönen. Das Heer macht den Kaiser, sagten die Römer und W.I. sagte sich, daß der preußische Geist des Militarismus auch Deutschland nicht schaden könnte. Diese Idee in der Volksseele zu verankern, ist ihm zweifellos gelungen. Gibt es noch irgendwelche Zweifel, daß W.I. für uns nie wertvoller war als heute? Ein Kioskverkäufer am Deutschen Eck: „Den brauchen wir hier noch gerade. Jedem Mörder sein Denkmal!“ Bascha Mika
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