■ Serie: Das Auto im Jahre 101: Autochaos in der Dritten Welt
Bis in die 70er Jahre war das Auto in Entwicklungsländern ein Luxusgut, das nur einer kleinen Bevölkerungsschicht zugänglich war. Aber auch noch 1980 war die Automobildichte sehr verschieden von der in den Industrieländern. Einwohner je PKW: USA 1,9 Bundesrepublik 2,6 Peru 56 Mexiko 21 Brasilien 15 Afrika 7 Zu dieser nur geringen Dichte tragen einerseits die Struktur der Einkommensverteilung bei, andererseits die vergleichsweise hohen Preise von Automobilen. In den Entwicklungsländern ist nicht nur das durchscnittliche Bruttosozialprodukt pro Einwohner niedriger als in den Industrieländern, sondern auch die Verteilung ist ungleicher. Autos sind für den größten Teil der Bevölkerung nicht zu kaufen; selbst die im jeweiligen Landesdurchschnitt wohlverdienenden Automobilarbeiter können sich in der Regel kein Auto leisten (in Mexiko etwa war für einen Käfer vor der Krise fast ein Jahreseinkommen auf den Tisch zu legen). Die gegenwärtige Krise verschärft die Einkommensdisparitäten, welche die Kaufkraft und die Absatzchancen begrenzen. Autos sind - wohl wie in der Vorkriegszeit der Industrieländer - Statussymbole und Gebrauchsgüter, welche die soziale Differenzierung sehr deutlich ausdrücken. Wer ein Auto hat, hat Geld (zumal Kundenkreditsysteme noch kaum verbreitet sind) und drückt dies auch aus. Er kann soziale Distanz (gegenüber den Massen, die auf die hoffnungslos überlasteten öffentlichen Busse angewiesen sind) behaupten und demonstrieren. Das Auto ist auch Symbol des Entwickelten, der überlegenen Technik, des Gebildeten, der Stadt. Es ist Teil eines Lebensstils der städtischen Mittel– und Oberschicht, der sich an europäischen und nordamerikanischen Vorbildern orientiert. Autos verteilen sich äußerst ungleich auf Land und Stadt: sie sind paradoxerweise dort konzentriert, wo sie an Transportfunktionen wegen der verstopften Straßen eingebüßt haben und öffentliche Verkehrssysteme am ehesten Wirkung entfalten können: in den Städten. So kommt z.B. in Mexiko ein Kfz auf fünf Einwohner in der Hauptstadt, auf 39 im vor allem ländlichen Staate Guerrero. Im Großraum Mexiko–City etwa gibt es heute drei Millionen Kraftfahrzeuge. Die Stadt ist autogerecht zerschnitten worden, Längs– und Querachsen spalten und zerstören die Wohnviertel, und trotzdem herrscht Chaos. Da der öffentliche Nahverkehr nicht gegenüber dem Individualverkehr privilegiert wurde, ist Transport überhaupt ein Problem und die Stadt nur noch in Teilen zugänglich. Lateinamerikanische Städte sind heute Zerrbilder der autogerechten Stadt: Die Massenmobilisierung ist in Immobilität umgeschlagen, die Städte sind zerklüftet und von Smogwolken überdeckt. Der Zuschnitt der Autos auf den städtischen Konsum zeigt sich auch in den Modellen: große US–Schlitten, VW–Jetta oder Santana - Autos, die auf dem Lande einen schnellen Verschleiß haben. Und umgedreht: Pkws, welche den schlechten Straßenverhältnissen auf dem Land angepaßt sind, werden schrittweise von den Autounternehmen durch neuere, rationeller zu produzierende Modelle ersetzt und verlieren auch an Gunst bei städtischen Käuferschichten. Nachdem lange Zeit die Entwicklungsländer nur als Absatzmärkte für die großen Autokonzerne von Interesse waren, sind seit den sechziger Jahren in vielen Ländern auch Produktonsstätten errichtet worden; Länder wie Brasilien und Mexiko etwa haben heute eine nationale Autoindustrie beträchtlicher Fertigungstiefe unter der Regie transnationaler Konzerne. Die Autoindustrie hat in vielen Ländern ein beachtliches Wachstum gezeigt und auch die Entwicklung von Zulieferindustrien nach sich gezogen. Immerhin sind Zweifel an dem Entwicklungspotential der Autoindustrie angebracht: Der Aufbau der Autoindustrie geht - so zumindest in Lateinamerika - auf die staatlichen Politiken der Importsubstitution und Exportförderung zurück und ist eng mit dem System staatlicher Auflagen und Anreize verbunden. Ziel ist in den meisten Ländern eine Autoindustrie, welche auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig ist und als nationale Schlüsselbranche so zur Industrieentwicklung beiträgt, daß sie zunehmend von Exporten aus den Industrieländern und entsprechenden Devisenabflüssen unabhängig wird. In fast allen Ländern - außer Brasilien - ist die Autoindustrie aber nach wie vor unter den großen Schuldenmachern, die auf den Import von Materialien und Aggregaten angewiesen sind. Auch das Ziel eines Technologietransfers, der auf andere Branchen überschwappt und insgesamt zu einer Entwicklung der Industrie beiträgt, hat sich nicht erfüllt: Die Autoindustrie bildet in den meisten Ländern eine Enklave mit importierten Designs, Organisationsplänen und Technologien; der spezialisierte Typ der Produktionstechnologie schließt eine Verallgemeinerung von know how und einer angepaßten Technisierung aus. Die Produkte sind teurer als auf dem Weltmarkt: die abgeschirmten Binnenmärkte lassen es zu, höhere Produktionskosten auf die Preise abzuwälzen und damit sogar Exporte zu subventionieren. Der Käfer etwa, in Mexiko produziert und in die Bundesrepublik exportiert, war bei uns jahrelang billiger zu erstehen als im Herstellungsland. Schließlich darf der Einfluß der Autoindustrie auf die Arbeiterbewegung in Entwicklungsländern nicht unterschätzt werden: Mit den Autofabriken sind, wie nur in wenigen anderen, meist staatlich betriebenen Branchen Großbetriebe entstanden, die erstmals Arbeiter in großer Zahl in Kooperationszusammenhänge und unter das bürokratische Kommando transnationalen Kapitals gebracht haben. In Brasilien, Mexiko und Argentinien waren es vor allem die Automobilarbeiter, welche repressive Organisationsformen aufgebrochen haben und zur Ausbildung militanter autonomer Gewerkschaften beigetragen haben. Rainer Dombois ist Soziologe an der Universität Bremen. Seinen Artikel entnahmen wir dem Ende März erscheinenden Buch „Auto, Auto über alles?“, das vom Team Kraus/ Sackstetter/Wentsch im Dreisam– Verlag Freiburg herausgegeben wird. Kostenpunkt: ca. 19 Märker Liebe Rätselgemeinde, dieser Tage schrieb uns Leser B. aus Baden–Württemberg, er möge trotz Einsendung des richtigen Lösungswortes nicht an der Verlosung des Preises teilnehmen, weil das letzte Rätsel schlicht zu leicht war - natürlich nur, wenn der Rechtsweg dies zuließe. Nun, lieber Leser B., das ist nach unserem Rätsel–Statut natürlich nicht möglich, da könnte ja jeder kommen. Das muß sich eben jeder überlegen, bevor er das Rätsel löst. Es bleibt also dabei, jede richtige Einsendung des Lösungswortes nimmt an der Verlosung zweier Bücher von Sabel/Piore, Das Ende der Massenproduktion, 376 S. Wagenbachverlag teil - unweigerlich. Das Lösungswort finden wir, i
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