Serie Bauern und EG (12): Optimale Sau wirft 23 Ferkel
■ Das Hybridschwein revolutioniert die Züchtung, macht dem Bauern eigene Aufzucht unmöglich und verdonnert ihn zur Lohnmast
Ein Hybride ist, folgt man lexikalischen Definitionen, ein Bastard. Während man den Bastard im Menschenreich fast immer diskriminiert und zum Außenseiter gemacht hat, feiert er im Tierreich Triumphe. Das Hybridschwein zum Beispiel ist zum Liebling vieler Schweinezüchter und -mäster geworden. Kein Wunder: Im Gegensatz zu den meist überzüchteten herkömmlichen Schweinerassen bringen Hybridsauen und -eber konstant gute Ergebnisse in Fruchtbarkeit, Mast– und Schlachtleistung. Und nicht zuletzt: Hybriden sind weitgehend „streßresistent“, das heißt, sie sterben erst auf der Schlachtbank und nicht schon vorher vor Aufregung beim Transport. Auf den Dreh mit den Hybriden kamen bundesdeutsche Landwirte vor rund fünfzehn Jahren. Die „Deutsche Landrasse“, die damals in knapp 90 Prozent aller Schweineställe dominierte, stand dank fragwürdiger züchterischer Hochleistungen kurz vor dem endgültigen Kollaps. Der Fleischanteil am Schwein war größer geworden als von der Natur vorgesehen. Dicke Muskelstränge, die zwar wie Fleisch aussahen, aber, weil sie keinerlei Funktion erfüllen mußten, weder Fleisch noch Fett noch sonstwas waren, prägten das schweinische Erscheinungsbild. „PSE–Fleisch“ (PSE = pale, soft, exudative) nannte man diese Masse, was von Wolf–Michael Eimler und Nina Kleinschmidt in deren Buch „Tierische Geschäfte“ zutreffend mit „blaß, matschig, wässerig“ übersetzt wird. Der Absatz von Schweinefleisch gestaltete sich spätestens ab dem Zeitpunkt als schwierig, als die deutsche Hausfrau wußte, was ein „Schrumpfkotelett“ ist. Schwein auf Reißbrett In dieser Situation kam das Hybridschwein–Angebot mehrerer großer Zuchtunternehmen gerade richtig. Das Versprechen, für Schweine zu sorgen, die nicht nur so aussehen, sondern auch so schmekken, ließ die gebeutelten Schweinemäster wieder auf bessere Zeiten und mehr Ansehen hoffen. Doch in Wahrheit schickte sich die Tierzuchtindustrie an, das zu tun, was ihr Jahre zuvor bei den Hühnern bereits gelungen war: Die Bauern aus dem Prozeß der Zucht herauszuschleusen, sie zu Lohnmästern ohne Verfügungsgewalt über die Gen–Ressourcen der alten Schweinerassen zu degradieren. Das Know–How der Schweinezucht liegt heute schon zu großen Teilen in den Tresoren von wenigen Unternehmen, was aus den Kliniken und Labors herauskommt ist in erster Linie ein patentiertes und geschütztes Markenprodukt und erst dann ein Tier. Der Bastard Hybridschwein entsteht fast auf dem Reißbrett. In den rund 20 Zuchtwerkstätten der mittleren und großen bundesdeutschen Zuchtunternehmen wird zunächst eine sogenannte Stammzucht herangezogen. Mit Hilfe von Computer–Programmen werden die Ergebnisse aus den verschiedensten Kreuzungen verschiendenster Schweinerassen analysiert. Die besten und meistversprechenden Züchtungen werden nun in einer zweiten Zuchtstufe vermehrt. Diese „Vermehrungszucht“ widmet sich der regelmäßigen Produktion von Tieren für die Ferkelerzeugung. Die zweite Zuchtstufe nun ist gleichzeitig Stärke und Fluch der Hybridschweinerzeugung. Denn während dieser Phase wird gezielt Inzucht betrieben. Die Stärke dieses Verfahrens: Die sogenannten F1–Sauen aus der zweiten Zuchtstufe bringen standardisierte Ferkel zu Welt. Hundertprozentig streßstabil, pflegeleicht mit guten Fleischanlagen und hoher täglicher Gewichtszunahme (um die 800 Gramm pro Tag). Der Fluch: Die Ferkel taugen nur zur Mast. Als „Hybridmastschweine“ sind sie schon als dritte Generation in der Hybrid–Kette das „Endprodukt“, das nur noch zur Verwurstung geeignet ist. Würde man ihnen die Freuden der Vermehrung gestatten, die nächste Generation wäre ein kunterbunter Haufen mit allen Nachtei len, die die Mäster und Züchter gerade nicht haben wollen. Die Folge: Wer weiter von den Vorteilen des Hybridprogramms profitieren will, muß spätestens nach zehn Wochen, solange dauert die Mast bis zur Schlachtreife, neue Ferkel in die Schweinebuchten setzen. F1–Sau startet Serienproduktion Die Ferkel selbst werden von lizenzierten Bauern produziert. Als Lizenznehmer kaufen sie ihre F1– Sauen bei einem Zuchtunternehmen (Stückpreis zwischen 400 bis 600 Mark). Mit einem „hybridfähigen“ Eber (um 2.000 Mark) kann die Serienproduktion aufgenommen werden. 23 Ferkel soll die optimale Sau bei drei Würfen jährlich großziehen. 60 bis 80 Mark bringt so ein Ferkel, wenn es an einen Mastbetrieb verkauft wird. Verkauft werden übrigens die meisten, denn wegen der Spezialisierung der Schweinehalter gibt es kaum noch Betriebe, die gleichzeitig Schweine erzeugen und mästen. Von den 900.000 Sauen, die jährlich in der BRD umgesetzt werden, stammen bereits 20 Prozent aus Hybridzuchten. Vor zehn Jahren waren es gerade einmal sechs Prozent. Führende Unternehmen in der Bundesrepublik sind die „Züchtungszentrale Deutsches Hybridschwein“ in Lüneburg und die „Deutsche Pig“ in Schleswig. Die Züchtungszentrale mit ihrem öffentlich geförderten „Bundeshybridzuchtprogramm“ (BHZP) stellt mit 65.000 Sauen jährlich 36,1 Prozent des Hybridsauenumsatzes. Die „Deutsche Pig“, ein Ableger der 1962 gegründeten englischen „PIG Improvement Co.“, ist zweite am Markt mit rund 50.000 Sauen jährlich. Embryonentransfer Wie eng sich Schweinemäster an „ihr“ Zuchtunternehmen binden müssen, belegt ein buntes Faltblatt der „Centralgenossenschaft Vieh und Fleisch/Landwirtschaftliche Fleischzentrale“ (CG/LFZ) aus Hannover. Die seit 1980 über eine gemeinsame „Hybrid–Schweine–Cooperationsgesellschaft“ mit der „Deutschen Pig“ eng verbundene Vermarktungsgesellschaft für Pig– und BHZP–Programme mit dem Hinweis „Zucht–, Mast–, Schlacht–, Klassifizierungs– und Zerlegungsablauf“ gehörten sinnvoller Weise „unter ein Dach“. Für Ferkelzüchter heißt das, sie müssen sich vertraglich bestimmten Erzeugungs– und Qualitätsregeln unterwerfen. Mäster müssen sich an strenge Aufzuchtrichtlinien und bestimmte Fütterungsprogramme halten. Die Betreuung während der Mastzeit übernehmen natürlich Vertragstierärzte der beteiligten Unternehmen. „Bis zum LFZ–Schlachtbetrieb“, so die Eigenwerbung, setze sich die „engmaschige Überwachung“ fort. Daß es der normale Schweinezüchter, auch den gibts zum Glück ja noch, in Zukunft immer schwerer haben wird, mit den Biotechnikern der Zuchtunternehmen Schritt zu halten, beweist ein Blick in die Labors. Schon heute wird in den Stammzuchten der Hybridkonstrukteure mit Embryonentransfer und keimfreien Kaiserschnittentbindungen gearbeitet. Und um die Verbreitung der zahlreichen Schweinekrankheiten zu verhindern, werden beim Export schon lange keinen quiekenden Schweine mehr verschifft. Es genügen tiefgekühlte befruchtete Eizellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen