Serie Bauern und EG (1): Rettungsobjekt "Familienbetrieb"
■ Hinter diesem bei Politikern so beliebten Begriff verbergen sich schwammige Vorstellungen / Die Hälfte der "Familienbetriebe" muß weichen
Wann immer deutsche Landwirtschaftspolitiker, und solche, die sich dafür halten, über die Dörfer ziehen, ranken sich ihre Reden um die „bäuerlichen Familienbetriebe“, die es zu erhalten gelte. Und wenn der Deutsche Bauernverband, der seit langem zum Interessenvertreter der Groß–Agrarier avanciert ist, zusätzliche Milliarden aus der Brüsseler EG–Kasse will, dann führt auch er die „bäuerlichen Familienbetriebe“ ins Feld. Zuletzt im Dezember 1986: „Durch die seit mehreren Jahren verfolgte Politik des Preisdruckes der EG–Kommission bei gleichzeitig kaum noch gegebener Handlungsfähigkeit des Ministerrates sind die bäuerlichen Familienbetriebe in eine bedrohliche Lage geraten“, heißt es in einem „Aktionskatalog“ des Bauernverbandes vom 18. Dezember. Wenn sich die Großkopferten derart für die kleinen und mittleren Bauern, denn die sind ja gemeint, einsetzen, dann ist Vorsicht am Platze. Da kommt der Verdacht auf, daß der bäuerliche Familienbetrieb, der da immer wieder zitiert, beschworen und mit Vehemenz verteidigt wird, in Wahrheit nichts anderes ist als ein gänzlich hohler Begriff. Gerade recht, um aus der sehr stark der Tradition verhafteten Lebensauffassung der Bauern ein Instrument zur Durchsetzung eigener Interessen zu machen. Familiensinn steht auf dem Lande eben noch immer hoch im Kurs. Und für viele Bauern ist die Familie vielleicht sogar die letzte Klammer, die die physischen und psychischen Belastungen des Lebens am Rande des Existenzminiums gerade noch in Grenzen halten kann. Natürlich ist der bäuerliche Familienbetrieb nicht zur Gänze ein Phantom. Es gibt sogar Definitionen wie die des Bundeslandwirtschaftsministeriums: „Der bäuerliche Familienbetrieb, auf den die agrarpolitischen Bemühungen der Bundesregierung in erster Linie ausgerichtet sind, wird dadurch charakterisiert, daß in der Regel eine enge Bindung der Viehhaltung an den Boden besteht und Nutzflächen sowie Tierbestände im wesentlichen von Familienangehörigen bewirtschaftet werden.“ Nach dieser Definition dürften 99 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe als bäuerliche Familienbetriebe anzusehen sein. Das eigentliche Problem liegt also darin, daß der Begriff des Familienbetriebes keine konkrete Aussagekraft hat. Er spricht jeden Bauern an. Egal ob dieser 10 oder 100 Hektar bewirtschaftet, ob er 5 oder 150 Kühe im Stall hat. Und wer sich angesprochen fühlt, ständig also hört, gerade seine, die familiäre Wirtschaftsweise solle erhalten und gefördert werden, der bleibt guter Hoffnung, auch wenn ihm das Wasser bis zum Halse steht. Die Zusagen, es werde alles nur mögliche für die Zukunftssiche rung familiärer bäuerlicher Existenz getan, ist falsch. Obwohl qua regierungsamtlicher Definition feststeht, daß fast jeder Betrieb ein familienbäuerlicher ist, gibt es keine Existenzsicherungs–Garantie. Im Gegenteil. Alle Prognosen gehen davon aus, daß von den derzeit 707.000 Bauernhöfen in der BRD bei einer Beibehaltung des jetzigen Kurses in der Agrarpolitik bis zur Jahrtausendwende nur noch die Hälfte übrig bleiben wird. Wer auf der Strecke bleibt, ist klar: die kleinen und die mittleren Betriebe, die schon jetzt keine Familie, geschweige denn zwei oder drei Generationen ernähren können. Die Zahlen sprechen für sich. Aus dem Agrarbericht 87 der Bundesregierung geht hervor, daß sich die Zahl der Betriebe seit 1976 jährlich im Schnitt um 2,3 Prozent verringert. Die verbliebenen werden immer größer, gleichzeitig nimmt die Zahl der Beschäftigten rapide ab. Denjenigen, die sich dafür entscheiden, den Hof der Eltern zu übernehmen, kann man mangelnden Mut sicher nicht bescheinigen. Vor allem, wenn man weiß, daß „die wirtschaftlichen Erfolge eines Landwirtes in starkem Maße von ihm selbst“ abhängen, wie der Parlamentarische Staatssekretär Wolfgang von Geldern im Pressedienst des Bundeslandwirtschaftsministeriums verlauten läßt. Noch eine Kostprobe aus Bonn: „Betriebsmitteleinkauf, Produktionstechnik und Verkauf der Erzeug nisse“ müsse der Junglandwirt „im Griff“ haben. Die „unternehmerische Verantwortung sowie Erfolg und Mißerfolg daraus“ könne ihm kein Agrarpolitiker abnehmen, meint Herr von Geldern. Und überhaupt: „Niemand sollte sich Träumereien hingeben, ökonomisch notwendige strukturelle Anpassungen dauerhaft verhindern zu können.“ Der Widerspruch zwischen Sonntagsreden und „unbequemen Wahrheiten“ (von Geldern) läßt nur einen Schluß zu: Die „strukturellen Anpassungen“ sollen möglichst lautlos über die Bühne gehen, die Großen sollen wachsen, die Kleinen sollen weichen. Das ist bequemer, als sich mit Agro–Industrie und Großagrariern anzulegen oder gar nach neuen Wegen für die Produktion von Nahrungsmitteln zu suchen. Das haben natürlich inzwischen auch die Bauern als direkt Betroffene genauestens verstanden. Doch der militante Protest gegen Brüsseler und Bonner Agrarpolitik sollte bei aller Freude nicht überbewertet werden. Gewiß: Hier machen sich Menschen Luft, die ihre Lebensgrundlagen auf das äußerste bedroht sehen, die sich vor der Vorstellung fürchten, von „freien“ Bauern zu Industriearbeitern oder Arbeitslosen degradiert zu werden. Aber die Befürchtung, der Regierung gelänge es einmal mehr, den Protestlern das Wasser abzugraben, ist nicht von der Hand zu weisen. Schon mit der Bekanntgabe im „Agrarbericht 87“ der Bundesregierung, die Einkommen der Bauern seien im Jahr 1986 um 2,7 Prozent gestiegen, schwand das Inter esse an den Problemen der Landwirte fast schlagartig. Erleichtert stellte zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung am 26. März fest, der Agrarbericht erscheine geeignet, „einen Beitrag zur Versachlichung der von zum Teil häßlichen Emotionen (Stichwort: Puppenverbrennung) aufgewühlten Agrardiskussionen zu leisten“. Friedhofsruhe ist also angesagt. Die einzige Möglichkeit, dem Teufelskreis von Subventionen und Zwang zur Massenproduktion unter Einsatz von viel Chemie und Technik zu entgehen, sehen Kritiker der offiziellen Agrarpolitik in Konzepten, wie sie zur Zeit von der sogenannten Agraropposition entwickelt werden. Das heißt: Einführung von gestaffelten Preisen, die sich vor allem an den Umständen der Produktion und an der Qualität der Produkte orientieren. Damit könnte die Existenz Hunderttausender von Bauern und ihrer Familien gesichert werden, gleichzeitig verhindert werden, daß in unserer Landschaft ein Nebeneinander von wenigen Naturschutzgebieten und großen Agrarsteppen entsteht und schließlich für gesunde Nahrungsmittel gesorgt werden.
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