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Senor CoconutParameter-Mann

Uwe Schmidt aka Señor Coconut aka 50 weitere Namen wohnt seit zehn Jahren in Santiago de Chile. Ein Besuch bei dem Meister der Identitäten.

Ein akkurates Refugium ist Uwe Schmidts Zuhause Bild: fernando del valle/mulitcolor recordings

Das Haus mit Garten liegt in einer ruhigen Seitenstraße im Wohnviertel Providencia, nur ein paar Minuten vom belebten und oft genug verstopften Zentrum entfernt. Es ist für chilenische Verhältnisse alt - die Hochhäuser, die die alten Wohnviertel Santiagos verdrängen, sind bis hierher noch nicht vorgedrungen. Dafür, dass Santiago de Chile eigentlich eine laute und anstrengende Stadt ist, ist es hier ziemlich ruhig. Eine Haushälterin öffnet die Tür. Gleich neben dem Flur liegt ein kleines Empfangszimmer mit Tisch, Antikstühlen und Streifentapete. Hier treffe ich Uwe Schmidt.

Noch Mitte der Neunzigerjahre führte Uwe Schmidt ein Leben als Techno-DJ und Produzent elektronischer Musik in Frankfurt am Main. Gelangweilt von der Szene und nicht zuletzt auch, um sich den Erwartungen zu entziehen, zog er vor zehn Jahren hierher. Durch seinen Umzug ist Schmidt als Europäer in Europa zum Exoten geworden. Obwohl er damit gerechnet hatte, dass seine Kontakte abbrechen könnten und trotz der langen Anreise - er wurde weiter für Auftritte in Europa gebucht. Unter seinem Pseudonym Señor Coconut veröffentlichte er im Jahr 2000 ein Album mit Kraftwerk-Coverversionen im Cha-Cha-Cha-Modus ("El Baile Alemán"), wenig später kamen dann noch die kunstvollen Latin-Verballhornungen von Pop-Klassikern hinzu - Sades "Smooth Operator" und Deep Purples "Smoke on the Water" beispielsweise. Die Folklorecombo vom Plattencover gab es gar nicht, die Songs waren alle am Computer entstanden. Als Señor Coconut dann fast jeden Sommer in Europa auf Tournee ging, hatte er doch eine echte Band dabei - die bestand vor allem aus dänischen Musikern.

Vor dem Hintergrund all dieses gut gemachten Kokolores wirkt Uwe Schmidt erstaunlich ernst. Nicht dass er unfreundlich wäre, doch hinter Señor Coconut steckt klar kein ausgemachter Spaßvogel. Seine rötlichen Haare hat er zurückgekämmt und macht ansonsten einen sehr entspannten Eindruck, ohne dabei betont lässig zu wirken. Vielleicht ist das deutsche Verbindlichkeit, die nach Jahren in Südamerika einen relaxten Dreh bekommen hat.

Mit seinem Umzug ist Schmidt einen für Musiker ungewöhnlichen Weg gegangen. "Chilenen können nicht nachvollziehen, warum irgendjemand nach Chile kommt, weil sie automatisch glauben, dass in den USA alles viel besser wäre, in Europa sowieso", sagt Schmidt. "Ich werde permanent gefragt: Was machst du hier? Und die Antwort ist: Ich mache hier eigentlich gar nichts. Ich will hier meine Ruhe haben."

Dass Schmidt eigentlich gar nichts macht, ist stark untertrieben. In dem Refugium, das er sich hier geschaffen hat, legt er ein immenses Arbeitspensum hin. Er programmiert Beats, zerschneidet Samples und setzt sie wieder zusammen, spielt Instrumente ein, und das alles offenbar mit akribischer Disziplin. Rechnet man die Aufnahmen aus seiner Frankfurter Zeit hinzu, hat Schmidt über 80 Alben veröffentlicht - und das unter rund 50 verschiedenen Pseudonymen. Señor Coconut und AtomTM sind die bekanntesten.

Uwe Schmidt liebt das Spiel mit Identitäten, mit Klischees und Erwartungen. Manchmal stellt er sich seine Pseudonyme als reale Menschen vor und spricht von ihnen in der dritten Person, so wie ein Schauspieler über seine Rollen spricht. Für das Projekt "The Stereonerds" erfand er John und Tad, zwei Australier, die aus australischer Perspektive versuchen, Kraftwerk-inspirierte Musik zu machen - ihn reizte die Idee, diese "permanente Verzerrung aufrechtzuerhalten". Señor Coconut wiederum ist klar umrissen als der Sombrero-Entertainer, während AtomTM - früher auch Atom Heart - offener angelegt ist: Mehrere Platten tragen seinen Namen, und er ist Teil des Projekts Flanger, an dem Schmidt mit Burnt Friedman zusammenarbeitet. Außerdem taucht AtomTM als Produzent anderer Schmidtscher Künstler-Alter-Egos auf, zum Beispiel bei Lisa Carbon. Unter ihrem Namen produzierte Schmidt bereits 1992 entspannt swingende Elektromusik mit Bossarhythmen - was damals noch sehr uncool war.

Jede Identität sieht Schmidt dabei als Teil einer Leitidee, als einen Parameter unter vielen - etwa die Frage, welche Musikstile Verwendung finden oder ob die jeweilige Produktion Humor haben soll. "Parameter" ist ein Wort, das Schmidt häufig benutzt. Und trotzdem bestreitet er vehement, dass Musik allein durch ein gutes Konzept zu guter Musik werde: "Musik funktioniert in einem impulsiven, instinktiven Moment", sagt er, und seine Augen beginnen regelrecht zu flackern.

Die jüngste Veröffentlichung, an der Schmidt mitgewirkt hat, ist das Flanger-Album "Nuclear Jazz". Unter diesem Titel hat der Berliner Elektroniker Burnt Friedman gerade die alten Flanger-Alben "Templates" von 1997 und "Midnight Sounds" von 1999 auf seinem Label Nonplace wiederveröffentlicht. Die Aufnahmen sind in Santiago entstanden, in Schmidts Studio. Kennengelernt hatten sich Schmidt und Friedman zuvor im Urlaub - in Australien. Beide waren ursprünglich Schlagzeuger, beide hatten mal Philosophie studiert. Sie verstanden sich auf Anhieb. "Er kam dann nach Santiago, und wir haben gesagt: Lass uns versuchen, Musik zu machen, die so und so klingt, wir machen soundsoviel Musik pro Tag, das und das ist die Struktur", sagt Schmidt. "Wir haben ein paar musikalische und ein paar technische Parameter definiert und haben dann einfach Musik gemacht, nonverbal, für eine Woche." Die Musik, die dabei herauskam, klingt auch nach zehn Jahren noch frisch: Die beiden haben locker und jazzig improvisierte Passagen so organisch mit programmierten Beats, digitalem Knispeln und Latinrhythmen verschachtelt, dass man nie das Gefühl der Wiederholung bekommt.

Uwe Schmidt spielt Rhodes, Bass und Gitarre, wenn er aber live auftritt, ist sein Instrument der Computer. Als Bandmitglied bei Señor Coconut hat er dann die Wirbelsäule der Stücke auf seinem Rechner, inszeniert sich auch regelrecht in seiner Kontrolleursrolle. Auf einem Podest thront er an seinem Stehpult und hat aus dem Hintergrund die gesamte Band im Blick: "Wenn zwei Leute mit einem Soloteil dran sind und ich merke, das klappt nicht, breche ich die Improvisation einfach ab."

Nur in Chile tritt Uwe Schmidt sehr selten als Musiker in Erscheinung. "Ich sehe das hier als eine Art Orbit an", sagt er. "Ich sitze hier zu Hause und bin auch nicht in der Szene unterwegs - genau wie in Frankfurt eigentlich auch." Er beobachtet aber, wie die Techno- und Elektronikszene in Chile mit zehn Jahren Verspätung die gleiche Entwicklung nimmt, die er zuvor schon in Deutschland erlebt hat - vom Enthusiasmus einer Art Gründerzeit bis jüngst hinein in die Kommerzialisierung des Party- und Clublebens. Gleichzeitig bekommt er einen anderen Blick auf Deutschland. In Chile könne man sich nicht auf die Position zurückziehen, dass einem Deutschland nicht so wichtig sei, erzählt er. Man werde sofort als jemand von außerhalb erkannt und repräsentiere ganz automatisch sein Heimatland. "Wir haben logischerweise ein Problem damit, uns als Deutsche zu definieren", sagt er. "Die Frage ist, durch was wird das ersetzt? Es ist ein Problem, dass wir als Individuum keine Alternative bekommen haben zur Nationalität."

Aus dem Nebenzimmer sind hin und wieder Stimmen zu hören, die Haushälterin, Schmidts neunjährige Tochter. Sie geht auf die Schweizer Schule in Santiago und wächst zweisprachig auf. Hinter einer Milchglasscheibe erahnt man in einem hellen, großen Raum das Studio. Weil alles so akkurat ist, mag man gar nicht so indiskret sein und auf einer Hausführung bestehen.

Und wie geht es weiter, mit Uwe Schmidt in Chile? Eine Hand voll Festivals mit Señor Coconut in Europa, ein weiterer Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober - das Gastland Katalonien hat ihn eingeladen -, ansonsten: sich Zeit nehmen, um an neuen Sachen zu arbeiten, vielleicht ein paar Remixe, wahrscheinlich ein neues Señor-Coconut-Album fürs Frühjahr 2008. An dieser Stelle des Interviews sieht Schmidt durch den Deckel meines DAT-Rekorders und stellt fast, dass das Band fast abgelaufen ist. Sein Auge für Details. Ob ihm das Gespräch zu lange gedauert habe? "Normal", sagt er. "Ich hätte dir auch noch eine neue Cassette verkaufen können."

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