Senioren in Russland: Putin korrigiert Rentenreform
Nach Protesten macht der Präsident Zugeständnisse beim Renteneintrittsalter für Frauen. Vielen Unzufriedenen reicht das nicht.
Pünktlich zum Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft am 16. Juni hatte die Regierung einen Gesetzesvorschlag im Parlament eingebracht, der eine Erhöhung des Rentenalters bei Männern von 60 auf 65 Jahre und bei Frauen von 55 Jahren auf 63 Jahre vorsieht. 2028 soll die Übergangszeit abgeschlossen und die Reform vollständig in Kraft sein.
Dies hatte unmittelbar nach der WM landesweit zu zahlreichen Protesten geführt. Erstmals hatten sich auch die Kommunistische Partei, die Liberaldemokratische Partei und die Partei Gerechtes Russland gegen die Rentenreform ausgesprochen, die sich bisher im Parlament weitgehend loyal zur Regierung verhalten hatten.
In seiner Rede schlug Putin am Mittwoch einige Änderungen vor, mit denen er Kritikern der Reform den Wind aus den Segeln nehmen will. Die wichtigste Abmilderung sieht vor, dass Frauen bereits mit 60 Jahren in Rente gehen können. Damit würde sich das Renteneintrittsalter für sie nur um fünf Jahre erhöhen.
Mehr Fortbildung
Mütter von drei Kindern sollen mit 57 Jahren, Mütter von vier Kindern mit 56 Jahren und Mütter von fünf Kindern und mehr mit 50 Jahren in Rente gehen dürfen. Arbeitgeber sollen administrativ und strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie Angestellte und Arbeiter im Vorrentenalter entlassen.
Außerdem sollen die Arbeitslosenhilfe für Personen im Vorrentenalter um das Doppelte erhöht sowie Angebote im Fortbildungsbereich erweitert werden. Niemand zweifelt daran, dass das Parlament die „Vorschläge“ umsetzen wird.
Wer sich das russische Staatsfernsehen Rossija 24 ansieht, gewinnt den Eindruck, Putin habe mit seiner Abmilderung seine Kritiker versöhnt. Immer wieder kommt die Putin-nahe Partei der Rentner zu Wort, die Putin für sein Verständnis lobt. Putin habe in seiner jüngsten Erklärung die Forderungen der Partei der Rentner weitgehend übernommen. Seine jüngste Rede habe gezeigt, dass der Präsident auf die Meinung der alten Generation höre.
Wer sich jedoch in den russischen sozialen Netzwerken umtut, spürt wenig Loyalität gegenüber den Rentenplänen. „Wie soll ich meinem Freund nur beibringen, dass Putin wünscht, ich solle mehrere Kinder bekommen?“, beklagt sich Alexandrina auf Twitter.
Ab ins Gefängnis
Die Rentenreform sei der Versuch, sich eines Teiles der Bevölkerung zu entledigen, schreibt ein Mann namens Wladislaw Schukowskij im Netzwerk ok.ru.
Der Fotograf Nikolaj Sternin aus der sibirischen Provinzstadt Angarsk, der in der Vergangenheit kaum politische Statements gepostet hatte, fordert seine Leser auf, die Forderung „Wählt keine Vertreter von Putins Partei Einiges Russland in Parlamente“ in den sozialen Netzwerken zu teilen. Ein Larion Kuminskij fordert auf Facebook, die Verantwortlichen der Rentenreform ins Gefängnis zu sperren, „wegen Genozids“.
„Lasst euch nicht beirren“, schreibt ein User aus Irkutsk auf Facebook. „Putin ist nicht Russland. Putin ist das System von Oligarchen und korrupten Bürokraten. Das ist ein System, in dem das Volk völlig bedeutungslos ist.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Russland droht mit „schärfsten Reaktionen“
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Israelis wandern nach Italien aus
Das Tal, wo Frieden wohnt