Seltsam beschränkte Kontrollwut : KOMMENTAR VON BETTINA GAUS
Schon mal schwarzgefahren? Die Einkommensteuer frisiert? Den Handwerker ohne Rechnung arbeiten lassen? Ein Staat, der Gelder sorgsam verwalten und die öffentliche Infrastruktur erhalten will, muss gegen Betrügereien vorgehen – auch gegen solche, die weithin als Kavaliersdelikte gelten. Deshalb ist es auch richtig, den Missbrauch von Sozialleistungen zu bekämpfen.
Grundsätzlich. Misstrauen ist allerdings angebracht, wenn der Eindruck entsteht, mit der Jagd auf angebliche Sozialbetrüger solle nur von anderen Gruppen abgelenkt werden, die sich schwerer dingfest machen lassen. Oder mit denen man sich aus politischen Gründen nicht anlegen möchte.
Das Kabinett hat gestern Korrekturen des Hartz-IV-Gesetzes beschlossen. Rund 1,5 Milliarden Euro, so hofft die Koalition, können durch den verschärften Kampf gegen Leistungsmissbrauch ab 2007 jährlich eingespart werden. Dafür müssen sich Empfänger von Arbeitslosengeld II künftig vieles gefallen lassen, unter anderem schärfere Kontrollen bis in den privatesten Lebensbereich hinein.
1,5 Milliarden Euro sind viel Geld. Allerdings nicht so viel wie die 5 Milliarden, die dem Fiskus nach Schätzung von Steuerfahndern jedes Jahr durch Korruption im Baubereich entgehen. Oder die 20 Milliarden, die Verbraucherschützern zufolge durch Betrug und Korruption im deutschen Gesundheitswesen verloren gehen. Genauso hoch ist der Betrag, den die öffentliche Hand nach Angaben des Bundesrechnungshofs durch Umsatzsteuerbetrug verliert.
20 Milliarden! Auf breite Zustimmung kann rechnen, wer möglichen Sozialbetrügern überraschende Kontrollanrufe zumutet. Wie würde die öffentliche Meinung wohl darauf reagieren, wenn Handwerker und ihre Kunden mit ähnlichen Anrufen rechnen müssten, um zu überprüfen, ob Rechnungen gestellt und somit Umsatzsteuer entrichtet wurde? Ganz recht.
Wer staatliche Leistungen in Anspruch nimmt, die ihm nicht zustehen, hat keinen Anspruch auf Schonung. Arbeitslose haben jedoch durchaus einen Anspruch darauf, nicht alleine unter den Generalverdacht des Betruges gestellt zu werden. Wenn Kontrollen, dann für alle.