Editorial: Selig vom Stuhl fallen
Von unserer Redaktion
WarumchinesischeBatterien-HerstellerimglobalenWettbewerbeinenVorteilhaben,erläutertejüngstHelmutEhrenberg,ProfessorfürMaterialwissenschaftamKarlsruherInstitutfürTechnologie(KIT),gegenüberder„Tagesschau“:DortwürdennämlichmitenormenSubventionenriesigeMengenanBilligakkusproduziert.AuchderdeutscheStaatzeigtesichzuletztbemüht,seinerSchlüsselindustrieunterdieArmezugreifen–dochgeholfenhatesoffenbarnicht.SoerhieltdieFirmaCellforce,angesiedeltbeiPorsche,insgesamt56,7MillionenEuroanöffentlichenZuschüssen.NunistSchluss:NurvierJahrenachderGründunggehenimCellforce-WerkinKirchentellinsfurtzwischenTübingenundReutlingendieLichteraus.
DerMarktfürelektrischeFahrzeugehabesichweltweitandersentwickeltalsangenommen,erläutertePorsche-VorstandMichaelSteiner:„AmEndemüssenwiraberfeststellen,dassdasgeplanteGeschäftsmodellwirtschaftlichnichtdarstellbarist.“DieAbkehrvomelektrischenAntriebscheintdabeidemBranchentrendzuentsprechen,zumindestwasdiedeutschenHerstellerangeht:Mercedes-BenzundBMWsetzenkünftigwiederverstärktaufVerbrennungsmotoren,wobeiaktuellsogarmöglicheKooperationenzwischendenKonkurrentengeprüftwerden.
DieschwereKriseinderBrancheschlägtsichnichtnurinGewinneinbrüchennieder.LautderBeratungsgesellschaftEYsindalleinimvergangenenJahrüber50.000Jobsverlorengegangen,wascircasiebenProzentallerStelleninderdeutschenAutomobilbrancheentspricht.DaskönnteerstderAnfangsein:DieRegionenStuttgartundNeckar-AlbverfügenübereinAutomobil-ClustermitHerstellern,Zulieferern,Dienstleistern,Kfz-Gewerbe–undeineStudiedesIMU-InstitutskamzudemBefund,dassbis2040etwaeinDrittelallerJobsverschwindendürfte.Einigesindschonweg,anderebangenumihreZukunft.
Verpuffte Subventionen und schwindende Steuereinnahmen: Das stellt nicht nur den Bundeshaushalt vor Herausforderungen. Auch in Stuttgart, wo die Kassenlage lange prächtig aussah, sind die fetten Jahre vorbei. Oder in den Worten von Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU): „Nach vielen Jahren eines immerwährend strahlend blauen Stuttgarter Haushaltshimmels tauchen jetzt dunkle Wolken auf – dunkle Gewitterwolken.“
Da hilft jede neue Einnahmequelle. Und zumindest in der Theorie kann Stuttgart seit 2016 Bußgelder verhängen, wenn Eigentümer:innen ihren Wohnraum ohne triftigen Grund leer stehen lassen und nicht vermieten. Von dieser Möglichkeit machte die Stadtverwaltung bislang eher zurückhaltend Gebrauch. In der Kontext-Redaktion sind wir daher um ein Haar kollektiv vom Stuhl gefallen, als eine Routine-Anfrage tatsächlich Neuigkeiten ergab: Die Stadt hat gegen eine Eigentümerfamilie ein Zwangsgeld verhängt! Schon seit April 2018 stehen bewohnbare Wohnungen in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 leer, angeblich, weil die ganze Zeit saniert werde. Nach sieben Jahren fühlt sich nun auch das Rathaus veräppelt, hat den Eindruck, „hingehalten“ zu werden und „dass eine Wohnnutzung möglich wäre“, auch ohne weitere Handwerkerarbeiten. Geduld ist eben eine Tugend, und die kleine Episode spendet Trost: Denn sie lehrt uns, nicht zu früh aufzugeben.
Glückwunsch an die Diakonie Stetten
VorKurzemhabenwirüberdieSchüler:innendesBerufsausbildungszentrumsEsslingen(BAZ)berichtet,dieamDenkmalfürdieinderNS-ZeitErmordetenderDiakonieStetten70Stelengesetzthatten.
DieselbstgestaltetenHölzerwarenden70FrauenundKindernmitBehinderungenoderpsychischenLeidenausKorkbeiKehlamRheingewidmet,dievondenNazisebenfallsvonStettenausindieTötungsanstaltGrafeneckdeportiertwordenwaren.DieDiakonietutsichseitLangemschwerdamit,denKorkerinnenzugedenken,weilesebenkeineStettenerwaren.DieStelenwurdenrechtschnellwiederentfernt,allerdingshatdieDiakonienuneineneueGedenktafelangebracht,dieauchdieErmordetenausKorkerwähnt.Dasfreutuns.EineEinweihungodereinenEventrundumsneueSchildgabesnicht,dabeiwäreesdochtollgewesen,dieengagiertenJugendlichendesBAZdazueinzuladen.VielleichthättensiesogareineRedegehalten?NuralsIdee.FürsnächsteMal.
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