Selbstdarsteller des Jahres: Absturz mit Ansage
Karl-Theodor zu Guttenberg, Christian Wulff, der Verfassungsschutz und die FDP: Das Desinteresse der Politiker an der Politik ist immer wieder verblüffend.
BERLIN taz | An ihren Vornamen sollst du sie erkennen! Christian Wilhelm Walter Wulff und Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg waren zwei Selbstdarsteller des Jahres 2011, die sich selbst enttarnten, doch es waren nicht die einzigen. Auch die FDP und der Verfassungsschutz führten sich im vergangenen Jahr selbst vor und beschädigten sich nachhaltig.
Was war passiert? Und warum waren alle so verwundert? War nicht der Bundespräsident bereits als niedersächsischer Ministerpräsident vor allem dadurch aufgefallen, dass er sich gern vor Kameras sehen ließ? Verdankte Wulff seinen guten Ruf in rechten Kreisen der CDU nicht vor allem dem Umstand, dass er in Richtung Berlin immer wieder mahnte und warnte, selbst aber nicht eben mit Ideen glänzte? Und sich offenkundig nicht an den moralischen Werten messen ließ, die er bei anderen einklagte?
Ständiges Mahnen kostet keine Mühe, lässt einen aber gut aussehen. Nachdem er zum Bundespräsidenten gewählt worden war, hieß es lange von ihm, er habe "sein Thema" noch nicht gefunden. Anders wollte man sich sein Schweigen zu vielen drängenden Fragen nicht erklären.
Doch wenn sich Wulff dann einmal zur religiösen Toleranz der Bundesrepublik bekannte oder zur multiethnischen Gesellschaft, so wich er der Schelte, die er daraufhin aus dem reaktionären Lager erhielt, sofort aus. Er debattierte nicht gern. Lieber zeigte er allerorten seine Frau vor.
Und war nicht auch der sich selbst nebst Gattin als Medienliebling inszenierende - und als solcher auch gern gebuchte - Freiherr weniger durch Taten als vielmehr durch große Worte aufgefallen? War er nicht mit seiner Verwendung von Superlativen zum Gespött der Leute geworden? Ahnte man nicht, dass die Bundeswehrreform von ihm schlecht vorbereitet worden war?
Der liberale Ruin
Die FDP schließlich zerlegte sich im vergangenen Jahr endgültig, auch das war erwartbar gewesen. Dennoch schauten nicht nur die bürgerlichen Wähler entsetzt zu, wie Rösler, Lindner, Brüderle und Westerwelle die Partei so ruinierten, dass sich selbst ihre Mitglieder schämten, diese jemals gewählt zu haben.
Und der Verfassungsschutz? Angesichts der immer neuen Enthüllungen über die Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund und das Umfeld ihrer Unterstützer zeigt sich, dass der Verfassungsschutz etwas zu verbergen hat - oder aber er ist so ahnungslos, dass er nicht einmal begreift, dass er sich seit zwei Monaten so benimmt, als hätte er sehr viel Schreckliches zu verbergen.
Aber stand nicht der Verfassungsschutz und sein lascher Umgang mit dem Rechtsextremismus bereits seit Jahren in der Kritik? Hatte man nicht bereits geahnt, dass V-Leute des Geheimdienstes manchmal sogar eine führende Rolle bei rechtsextremen Taten spielten?
Reden wir jetzt einmal nicht darüber, dass sich die Bundesrepublik Deutschland angesichts der Eurokrise als Zuchtmeister Europas aufspielt und dass die hiesige Außenpolitik die veränderte politische Situation in Tunesien, Ägypten, Libyen, Syrien und anderen Diktaturen bis heute nicht wirklich zu begreifen scheint.
Skandal, Verwirrung, Wahl
Man sich muss trotzdem fragen, wie es sein kann, dass die Skandale um Guttenberg, Wulff, die FDP oder den Verfassungsschutz die Wählerinnen und Wähler derart verwirren können, dass ein Gutteil von ihnen sogar bereit ist, die Piratenpartei zu wählen, einfach, weil diese noch nicht etabliert genug ist, um käuflich zu sein.
Es ist nicht nur politische Unfähigkeit, die bei allen Genannten zu konstatieren ist. Es ist politisches Desinteresse. Wulff und Guttenberg etwa geben den Moralapostel und suchen dennoch offenkundig vor allem nach einem Vorteil für ihre Person. Die Moral, an die sie stets appellieren, gilt ihnen in ihrem eigenen Fall nicht. Offenkundig ist das, was sie an moralischem Werten behaupten, nichts als Zierrat - ein Accessoire für ihre politische Rolle.
Wulff und Guttenberg sind ehrgeizig und ruhmsüchtig. Beide bewiesen in den vergangenen Monaten, dass sie sich entgegen ihrer Sonntagsreden kaum um ihr Amt und ihre Aufgaben scheren und stattdessen versuchen, qua Amt noch mehr für sich zu bewirken.
Anders ist es nicht zu verstehen, wie wenig sie verstehen, auf welche Weise sie ihrem Amt - wenn man denn an die Würde des Amts glauben will - geschadet haben, und wie sehr sie durch ihr tapsiges Verhalten die Glaubwürdigkeit ihrer Partei und ihrer Regierung unterminiert haben. Die Frage schert sie auch nicht. Guttenberg und Wulff kämpfen nicht für Partei oder das, was sie ihr "Vaterland" nennen, sie versuchen einzig und allein ihr eigenes Ansehen zu retten.
Bar aller Selbstzweifel
Wulff und Guttenberg sind dabei bar aller Selbstzweifel und mit sich selbst identisch. Da sie zwischen sich und ihrem Job nicht mehr unterscheiden können, verstehen sie nicht, dass sie kündbar sein können. Insofern war die verfrühte und allzu tollpatschige November-Medienoffensive Guttenbergs nicht etwa ein erster Schritt auf einem Weg zurück in die Politik, sondern der tumbe Versuch einer Wiederaneignung. Guttenberg glaubt, dass ihm ein politisches Amt zustehe, so wie ihm sein Adelstitel zusteht.
Bemerkenswert ist, dass Guttenberg und Wulff tatsächlich "kein Thema" haben, nicht einmal eines vortäuschen. Eine politische Idee oder gar eine Haltung ist bei ihnen nicht zu erkennen. Sie verteidigen keines ihrer "Anliegen", wenn diese Verteidigung Kritik hervorrufen könnte. Kontroversen gehen sie aus dem Weg. An politischen Topoi haben sie keinen Spaß. Zweck ihres politischen Arbeitens ist ausschließlich ihre eigene Karriere.
Ebenso geht es der FDP-Führung und dem Verfassungsschutz. Es steht weniger zu vermuten, dass der Verfassungsschutz in Gänze wirklich rechtsradikale Taten billigt oder sogar herbeiführt, und auch ist kaum anzunehmen, dass die FDP-Führung einfach nur wahnsinnig ist. Nein, die Verfassungsschützer und diejenigen in der FDP, die Westerwelles Führungsstil übrig gelassen hat, wollen einfach auf ihren Posten weiterwurschteln - und aufsteigen. Politische Ziele stören da nur.
Wenn solche Leute von politischer Verantwortung reden, die sie tragen müssten, so meinen sie eigentlich nur den Posten, den sie bekleiden wollen. Geht es tatsächlich um verantwortliches Handeln, ducken sie sich weg. Eine Regeneration der geschundenen FDP in der Opposition erscheint solchen Leuten ebenso absurd wie einem Verfassungsschützer die Bitte, nach zwanzig Jahren Jagd auf falschen Fährten, nun umdenken zu sollen. Das macht Arbeit und es setzt politisches - und nicht nur strategisches - Denken voraus.
Arschkriecherei wird belohnt
Diese Hochstapler im Amt aber, das müssen Ideologen alten Schlages wie Schäuble oder Bosbach einsehen, sind nicht etwa deshalb so hoch gekommen, weil sie so desinteressiert oder so böswillig sind. Es geht ihnen nicht darum die FDP, den Verfassung oder die Regierung zu beschädigen. Sie interessieren sich für all dies allerdings nur, solange es ihnen dient.
Sie verdanken ihren Aufstieg zweifelsohne auch den verkrusteten Strukturen innerhalb von Parteien und Institutionen, in denen Arschkriecherei stets besser belohnt wird, als selbstständiges Denken. Vor allem aber liegt es am Wirtschaftssystem. Nicht nur der Linke, auch der Konservative, der Werte ernst nimmt - oder Ämter - müsste ein Feind des heutigen Kapitalismus, in dem Moral nur eine Handelsware ist, jedoch nichts, was man ernst nehmen müsste.
Je ernster nun ein Politiker seinen Job nimmt, desto mehr wird er zum Gegner des freien Markts, desto mehr beklagt er soziale Ungerechtigkeiten, all das ist zwangsläufig. Damit aber sollte eigentlich auch der Konservative notwendig zum Systemkritiker.
Andererseits haben die bürgerlichen Kräfte über Jahrzehnte keine ökonomischen Konzepte mehr entwickelt, da es ihnen unter den Bedingungen des Kalten Krieges so schien, als sei das kapitalistische Denken der natürliche Verbündete ihrer Moralvorstellungen. Nun müssen sie sehen, dass sie - um es biblisch zu sagen - eine Natter an ihrer Brust genährt haben. Und zugleich Leute aufsteigen ließen, die sich um politische Fragen kaum mehr scheren, doch stets große Worte im Mund führt.
Die Skandale um Guttenberg, Wulff oder die FDP sind keine Einzelfälle - sie sind der Anfang vom Ende der bürgerlichen Moralvorstellungen. Denn für diese gibt in unserem derzeitigen Wirtschaftssystem keinen Platz. Für Hochstapler vom Schlage Guttenbergs dagegen schon, auch wenn sie regelmäßig auffliegen.
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