: Seit drei Jahren den Frieden gestört?
■ Ehemalige P-Abteilung der Staatsanwaltschaft macht im Hintergrund weiter Strafverfahren gegen taz-Journalistin werden durch die Instanzen gepeitscht
Berlin. Gleich mehrere Strafverfahren werden in den kommenden Wochen gegen eine frühere Journalistin der taz in Moabit verhandelt. Im Hintergrund wirken dabei ehemalige Staatsanwälte der berüchtigten P-Abteilung, die nach wie vor für diese Verfahren zuständig sind.
Am 20.September sollen vor der 15. Großen Strafkammer die von der Staatsanwaltschaft eingelegten Berufungen gegen zwei Freisprüche des Schöffengerichts Tiergarten verhandelt werden. In einem Verfahren wird der Journalistin vorgeworfen, 1987 als presserechtlich Verantwortliche zugelassen zu haben, daß ein wissenschaftlicher Text über Kannibalismus neben Karikaturen über das christliche Abendmahl von einer bekannten österreichischen Zeichnerin veröffentlicht worden ist. Damit habe die taz den Inhalt des Christentums in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. In einem anderen Fall wird der Vorwurf erhoben, die Bundeswehr sei beleidigt und das Volk verhetzt worden, weil in einer Bildunterschrift auf der Medienseite der taz ebenfalls 1987 anläßlich einer Ankündigung eines Werbefilms der Bundeswehr im Fernsehnachmittagsprogramm Soldaten als Mörder bezeichnet wurden. In beiden Fällen erfolgte in erster Instanz ein Freispruch, die Staatsanwaltschaft, damals noch ganz offiziell P-Abteilung genannt, hat jeweils Berufung eingelegt. Nach der Berufung aber wechselte die Regierung, der rot-grüne Senat löste die P-Abteilung auf. Das war Anlaß für den Verteidiger, Staatsanwaltschaft und Justizsenat vorzuschlagen, die Berufungen zurückzunehmen. Zunächst geschah nichts, doch dann öffnete sich die Mauer in Berlin: Die Justizsenatorin verlangte nun öffentlich eine Amnestie für Strafverfahren mit politischem Hintergrund. Erneut forderte der Verteidiger sie daraufhin auf, die Staatsanwaltschaft anzuweisen, die Berufungen zurückzunehmen und einen Schlußstrich unter dieses unrühmliche Kapitel der Strafverfolgung einer freien Presse durch die P -Staatsanwaltschaft zu ziehen.
Eine Antwort der Justizsenatorin gibt es bis heute nicht. Dafür antwortete die Staatsanwaltschaft. „Nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage sieht sich die Staatsanwaltschaft nicht veranlaßt, die Berufungen zurückzunehmen“, schreibt dort ein Staatsanwalt C.Weber. Der ist allen Beteiligten noch gut bekannt: Als einer der profiliertesten Vertreter der alten P-Abteilung.
Prozeßtermin wird sein am 20.9.1990, 9.00Uhr, Saal 820, Kriminalgericht Moabit. Gerade VertreterInnen der DDR-Medien wird empfohlen, hier den „rechtsstaatlichen Umgang“ mit der „freien“ Presse im „freien“ Westen einmal im Original zu beobachten.
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