Sehen Sie! Staunen Sie! : Bei der Bahn klappt mal etwas
Bekanntlich ist es schöne Tradition, jede Baustelle in der Stadt zum Riesenereignis hochzujazzen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis ein Info-Container auch dann platziert wird, wenn Bauarbeiter in Neukölln ein paar Pflastersteine auswechseln. Angesichts der zunehmend entgleisenden Bahnhofsbaustellen-Euphorie wollen wir natürlich nicht hintan stehen. Also noch mal und alle zusammen: Die! Bahn! Klappt! Türme! Um!
Zugegeben, es ist schon eine Erwähnung wert, wenn bei der Bahn mal etwas klappt, deshalb noch mal ganz im Ernst: Ihr ganz persönlicher Nah- und Fernverkehrsprofi will die vier Rohbau-Türme, die in den letzten Wochen am Hauptbahnhof in die Höhe gewachsen sind, mittels einer komplizierten Hub-Mechanik quer über die Gleise klappen und in der Mitte verbinden (die taz berichtete). Los geht’s mit den beiden westlichen Türmen heute Abend ab 22 Uhr.
Die Bahn rechnet am Sonnabend mit Scharen von Baustellenbegeisterten, sofern das Wetter ein Herz für den Bahnhof hat: „Gewitterböen können den Ablauf natürlich verzögern“, sagt Sprecher Burkhard Ahlert. Der morgige Vormittag ist eine gute Zeit fürs Ausbreiten der Picknickdecke. Wenn alles gut geht, sind die Türme dann in einem attraktiven Winkel von 45 Grad abgeknickt – kennt man ja noch vom Geodreieck aus der Mathe-Stunde. Psychologisch ließe sich das gesteigerte Interesse am öffentlichen Verschieben von Riesenklötzen als Rückfall in kindliche Lebenswelten deuten. Wer erinnert sich nicht an das tiefe Gefühl der Befriedigung, wenn sich beim Legostein-Häuschen die Tür passgenau auf- und zumachen ließ?
Und so werden sich morgen Familienpapis samt Anhang und schultheissbefüllter Kühltasche aus der ganzen Stadt aufmachen, sich auf die Reichstagswiese lagern und kundige Sprachfetzen werden durch die sommerliche Luft wehen („Nu guck doch mal Leonie, sieht man ja nich alle Tage, sowat …“). Kurz: Die Bahn – sonst eher fürs Gegenteil bekannt – sorgt für ein Woodstock-Feeling wie einst Christos verhüllter Reichstag. Gut, etwas bodenständiger vielleicht. Den besten Blick bietet übrigens der – scheinbar eigens für diesen Anlass pünktlich fertig gestellte – Spreebogenpark nördlich des Bundeskanzleramtes.
Ach ja, ganz dem Grundgedanken des öffentlichen Verkehrs verpflichtet, lässt die Bahn die ganze Stadt an dem Event teilhaben: Die nötige Vollsperrung der Stadtbahn komplettiert den Spaß. Von Freitagabend 22 Uhr bis Montagmorgen 4 Uhr geht nichts mehr für Züge und S-Bahnen. Wenn bei der Bahn was los ist, geht das schließlich alle an. ULRICH SCHULTE
Infos zum Ersatzverkehr finden Sie im Internet unter www.bahn.de/fahrplanaenderungen