Schwule Indiependent-Musik: Die queeren Stimmen der Chorknaben
Homosexualität ist in der Punk- und Alternative-Szene nicht selbstverständlich. Viele Musiker outeten sich lieber nicht - Grizzly Bear und Scott Matthew gehen offensivere Wege.
Vielleicht muss manchmal am Anfang einfach ein Fettnäpfchen stehen. "Eigentlich gehen wir immer davon aus, dass deutsche Medien schreiben, wir seien ein paar Schwule mit reichlich Reverb", sagt Ed Droste, der Sänger von Grizzly Bear, im Interview. Auf mittlerweile drei Alben bietet das Quintett aus Brooklyn eine Musik, deren historische Wurzeln mit "Psychedelic" benannt, aber nicht exakt beschrieben werden können. Akustische Folkgitarrenspuren verhakeln sich mit einem elektrischen Grundrauschen, Streichern und Orgel-Splittern zu einem Sound, der in die Glückseligkeit führt. Und über allem schwebt Drostes Stimme, die - unterstützt von einem Quäntchen Reverb, Verzerreffekten auf der Gitarre - hingebungsvoll von der Liebe singt: "Cum again all over me/I swear Ill change, just wait and see."
Liebe zwischen Männern - im Indierock wird sie nicht oft besungen. Dabei hätte es anders kommen können. Denn mit Hüsker-Dü-Sänger Bob Mould und Michael Stipe, dem Frontmann von R.E.M., sind zwei der wichtigsten Musiker der amerikanischen Alternative-Szene schwul. Aber sie blieben so lange ungeoutet, bis sie nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses standen oder ihre Musik schon in den großen Arenen angekommen war. Was eine reiflich überlegte Entscheidung sein dürfte.
Zumindest, wenn man Jon Ginoli, dem Sänger und Gitarristen der kalifornischen Punkband Pansy Division, Glauben schenken mag. Ginoli erzählt in seiner Autobiografie "Deflowered" zwar von im Bandbus gestilltem libidinösem Begehren, aber auch von einem Hagel an Bierflaschen und Beleidigungen, dem seine Band als Vorgruppe der Mainstreamband Green Day auf US-Tournee ausgesetzt war.
Dabei war Punk als Form und Subkultur lange Zeit offen für gleichgeschlechtliches Begehren. Buzzcocks-Sänger Pete Shelley verhandelte in seinem Solodebütalbum "Homosapien" (1980) offen schwule Subjektpositionen zwischen dem erfahrenen Cruiser und dem schüchternen Eckensteher. Die transsexuelle New Yorker Punk-Sängerin Jayne County spielte in Derek Jarmans Film "Jubilee" (1976) mit. Eine androgyne Tradition führt vom ersten Fernsehauftritt der Sex Pistols bis ins Batcave.
In den Vereinigten Staaten war die Lage immer schon ein wenig komplizierter. Nicht nur war die Abgrenzung gegenüber Disco, der einzigen offen schwulen Subkultur, konstitutiv für das dortige Punk-Selbstbild. Protopunk Dee Dee Ramone beschreibt in seinem Song "53rd and 3rd" (1976) seine eigenen Erfahrungen als Stricher in Manhattan, die der Protagonist als entmännlichend erlebt. Trotzdem erinnert sich Gary Floyd, Sänger von The Dicks, daran, wie fast jede Band in der Austiner Hardcorepunkzene Anfang der Achtzigerjahre schwule Mitglieder hatte. Es musste nicht groß darüber gesprochen werden, die Abgrenzung von Punk zum Mainstream in jenen Jahren ließ minoritäre Interessen zu.
Im San Francisco der Neunzigerjahre wurde das dann wieder neu und anders verhandelt, so dass Ginoli kein Role Model hatte, als er 1991 eine Anzeige aufgab, in der er nach schwulen Musikern für die Gründung einer Band suchte. Dabei hörte er Geschichten, die seiner glichen: Mit der schwulen Partyszene kann ich nichts anfangen, aber in der Alternative-Szene mag ich mich nicht outen. Glücklichweise war die Bay Area in den frühen Neunzigern Umschlagplatz progressiver Ideen. DIY und akademischer Third-Wave-Feminismus animierten junge Frauen zum Musikmachen. Für schwule Subjektivitäten wie Pansy Division war Platz.
Ein Link, der mittlerweile ins Leere führt. Nicht nur weil die Berührungspunkte zwischen schwuler und lesbischer Subkultur seltener geworden sind, sondern auch, weil die rechtspopulistische Aneignung von Theorie schon seit einigen Jahren die Negierung von Homosexualität im Auge hat. Die akademischen Gender Studies dürften damit beschäftigt sein, den "ohne Hemmungen auf alte Stereotype als heute wissenschaftlich erwiesene facts" (Marie-Luise Angerer) zurückgreifenden Theorien der Lebenswissenschaften ihre natürlichen Grenzen aufzuzeigen. Die hierbei geführten ontologischen Debatten in Popmusik zu verdichten, scheint jedoch mühsam zu sein, vielleicht sogar zwecklos. Was sollten die Momente des puren Genießens, in denen Popmusik ihre verführerischsten Argumente entfaltet, auch zu einer Kritik an den bildgebenden Verfahren der Neurowissenschaft beitragen können?
Kein Wunder, wenn die meisten Musiker da einfach abwinken. "In dem Moment, wo ich darüber nachdenke, wie sich Theorie zu meinem Leben verhält, beginnt meine Musik zu leiden", kommentiert Ed Droste von Grizzly Bear. Was ihn aber nicht daran hindert, auf allen Spielplätzen des schwulen Hipstertums präsent zu sein, egal ob auf dem pinken Parkett das niederländischen Butt-Magazins oder zwischen den aspirierenden Models im Blog "East Village Boys".
Die großen Erzählungen der westlichen Schwulen- und Lesbenbewegung aber schreiben andere weiter - die kanadischen Elektropopper von Kids on TV, die Miami-Bass-Rapperinnen von Yo Majesty und alle, die auf dem Portal Outhiphop.com die Baggypants besonders tief hängen lassen. Oder aber der schmächtige Bradford Cox von Deerhunter, der es immer wieder schafft, alle an ihn herangetragenen Identitätszuschreibungen durch sein Stochern in der psychedelischen Ursuppe zu unterwandern. Und nicht zuletzt die wohlbeleibte Beth Ditto, deren jahrelange Ochsentour mit ihrer Band The Gossip durch die autonomen Jugendzentren Europas und der USA wohl das perfekte Training für die Soft Skills war, um auch vor 100.000 Zuschauern beim Glastonbury-Openair noch als Role Model für Queer Kids zu glänzen.
Eine Eigenschaft, die der schwulen Indiemännlichkeit eher abgeht. Stattdessen übt man sich in Variationen bohemistischen Dandytums unter nomadischen Vorzeichen. Das bedeutet in erster Linie: anschlussfähig bleiben und fixe politische Identitäten negieren - egal, wer ruft. Und so übt man sich in den alten Tugenden von Travestie und Mimikry, ganz wie es James Cameron Mitchells Film "Shortbus" vorgemacht hat. Der schaffte es seinerzeit, Gruppensex mit Rimming-Szenen in ein konventionell erzähltes Beziehungsdrama einzubetten und damit ebenso hip wie unpeinlich moralisch zu wirken. "Shortbus" war äußerst erfolgreich. Seinen ersten großen Auftritt hatte in diesem Film der Australier Scott Matthew, der die postorgasmische Melancholie im filmtitelgebenden Kuppelclub "Shortbus" mit Ukulele und flehendem Gesang bestens zu illustrieren vermochte. Was man so auch über sein neues Album sagen kann, das einen mäandernden Titel trägt: "There is an ocean that divides and with my longing I can charge it with a voltage thats so violent to cross it could mean death". Sanft wird das wehmütige Herz von Klaviersprengseln durch Streicherchöre geleitet, bis nach ein paar Stücken Frauenchöre "Lalala" trällern und sich die Traurigkeit als Travestie entpuppt. Intendiert war diese nicht.
"Musik zu schreiben ist ein organischer Prozess. Es ist eher so, dass der Inhalt mich sucht, als andersherum", sagt Matthew, "und weil ich keine musikalische Ausbildung habe, kann ich eh nicht so kalkulierend vorgehen." Was dann doch verwundert. Denn was Grizzly Bear, Scott Matthew und den Kanadier Gentleman Reg vereint, ist ihr exaltierter, jede Semantik weit hinter sich rückender Gesang. Gibt es vielleicht sogar eine Tradition der wunderschönen schwulen Stimme von Marc Almond über Rufus Wainwright hin zu Anthony Hegarty? "Keine Ahnung. Vielleicht hats mit dem schwulen Gen zu tun", sagt Matthew. Okay, lassen wir das Thema.
Reg Vermue hat zumindest Ursachenforschung in eigener Sache betrieben: "Seit meiner Kindheit habe ich gesungen. Erst im Kirchenchor, mit 13 dann auch zur Musik Sinead OConnors. Ich kam ihrem Gesang schon sehr nahe." Was ein wenig verwundert, wenn man die schmächtige Stimme hört, die "Jet Black", sein drittes Album unter dem Namen Gentleman Reg, durchzieht. Anders als bei Grizzly Bear und Scott Matthew hört man seinen Songs eine Verhaftetheit an - doch Vermues Gemeinschaft ist weniger die schwule Community Torontos, die er als "klein und insulär" beschreibt, sondern das kleine Label Arts & Crafts, mit dessen Bands er jahrelang zusammen spielte und tourte. Seine verspielten Hymnen synthetisieren jedenfalls die geschichteten Gitarrenläufe von Broken Social Scenes mit den Disco-Balladen von Metric oder Feist. Und über allem thront die queere Stimme des Chorknaben als Identitätsmarker in einer selbst gewählten Gemeinschaft. So, wie man es sich wünscht.
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