piwik no script img

Schwerster Anschlag in AfghanistanPartner der Taliban

Die Hintermänner des Anschlags in Kabul, bei dem 41 Menschen ums Leben kamen, dürften eher aus Kaschmir kommen: Die Extremisten haben eine Rechnung offen.

Ein Selbstmordattentäter tötet vor der indischen Botschaft in Kabul 41 Menschen Bild: dpa

Es ist der schlimmste Sprengstoffanschlag, der sich in Kabul je ereignete. 41 Menschen starben Montag früh. Mindestens 140 wurden verletzt. Ein Attentäter hatte sein Auto vor der Botschaft Indiens in die Luft gejagt, als zwei Fahrzeuge der Vertretung das Tor passierten. Der indische Verteidigungsattaché und ein weiterer Diplomat, zwei Angehörige der paramilitärischen Indotibetischen Grenzpolizei (ITGP), die den Botschaftsschutz stellt, und zehn afghanische Polizisten wurden getötet.

MEHR OPFER

Unter den insgesamt 2.100 Konflikttoten in diesem Jahr waren nach einem UN-Bericht 698 Zivilisten, ein Anstieg um fast 50 Prozent gegenüber dem gleichen Vorjahrszeitraum. 443 davon sollen auf das Konto der Taliban gehen, 255 auf das der afghanischen Streitkräfte und ihrer internationalen Verbündeten. Die Nato hat allerdings die in dem Bericht genannten Opferzahlen dementiert. Tatsächlich lägen sie im zweistelligen Bereich. Neben den toten Zivilisten liegt mittlerweile auch die Zahl der getöteten ausländischen Soldaten über der Zahl derer, die im Irak starben. Im Juni kamen 45 ausländische Soldaten bei Kämpfen, Anschlägen und Unfällen in Afghanistan ums Leben; im Irak waren es 30 Soldaten. In beiden Ländern gab es die meisten Opfer unter den US-Truppen. Die Zahl der Zusammenstöße zwischen Kämpfern den radikalislamischen Taliban und Soldaten der Nato-Schutztruppe Isaf hat sich seit dem Frühjahr um

41 Prozent erhöht.

Am schlimmsten traf es aber Unbeteiligte - wie meist bei solchen Anschlägen. Der Attentäter hatte sich die Zeit ausgesucht, zu der in dieser Gegend im Stadtzentrum viel los ist. Unter den Opfern sind zahlreiche Angestellte, die gerade in das gegenüber liegende Innenministerium strömten, und Leute aus der Schlange vor dem Visaschalter der indischen Botschaft. Auch Besucher zweier Krankenhäuser, Schülerinnen der großen Malalai-Schule sowie Kunden und Inhaber umliegender Geschäfte wurden getroffen. Der Anschlag erinnert an einen ähnlichen Vorfall im September 2006, der sich am selben Ort und fast zur gleichen Zeit ereignete. Zwölf Menschen starben, die Taliban erklärten sich telefonisch verantwortlich. Das ist diesmal anders. Noch hat sich keine Organisation zu dem Anschlag bekannt. Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahed ließ sogar wissen: "Wir haben das nicht getan."

Afghanistans Außenminister, der Aachener Ex-Grüne Rangin Dadfar Spanta, bezeichnete den Anschlag als das Werk der "Feinde der historischen Beziehungen der beiden Länder", ohne konkreter zu werden. Auch die Regierung in Delhi und die Webseiten seriöser indischer Zeitungen ließen bisher offen, wer hinter dem Anschlag stecken könnte.

Damit beginnt das große Rätselraten über die Hintermänner. Auf jeden Fall muss der Anschlag im Kontext des bilateralen Verhältnisses der Erbfeinde Pakistan und Indien gesehen werden, die bereits drei Kriege gegeneinander führten. Beide Länder rivalisieren seit Jahrzehnten um Einfluss in Kabul.

Indien gehört seit 2001 zu den wichtigsten Partnern der Regierung Hamed Karsais. Fünfmal hat dieser seither offiziell Indien besucht. Indien wäre sogar die Nummer fünf unter den Geberländern, wenn nicht erst ein Drittel der zugesagten 750 Millionen US-Dollar wirklich ausgezahlt wären. Delhi repariert Staudämme, baut das neue Parlament und unterstützt reihenweise Krankenhäuser und Schulen. 3.500 bis 4.000 Inder arbeiten in solchen Projekten - und werden immer wieder Opfer von Entführungen. Zuletzt starben Anfang Juni zwei Inder bei einem Taliban-Selbstmordanschlag auf ein Straßenbauprojekt in der Provinz Nimroz. Schon Ende 2005 schickte Delhi 200 TIBP-Angehörige als Schutztruppe. Auch die vier indischen Konsulate, unter anderem in pakistanischer Grenznähe, gefallen Islamabad ganz und gar nicht. Es wirft Delhi vor, von dort aus die säkulare Aufstandbewegung der Belutschen zu unterstützen. Pakistan fühlt sich in einem strategischen Sandwich.

Aber auch die eigene Bilanz gegenüber Afghanistan ist mager. Die 100 Millionen pakistanische Hilfsdollar warten noch großenteils auf ihre Verwendung. Es gibt kein pakistanisches Gegenstück etwa zu indischen Projekten wie dem stark frequentierten Indira-Gandhi-Krankenhaus, beklagt der pakistanische Afghanistankenner Ahmed Rashid. Stattdessen belastet die offene Unterstützung der Taliban aus Sektoren der pakistanischen Armee und des Geheimdienstes ISI das Verhältnis zu Kabul. Pakistan hat sich bisher nur offiziell von seiner Doktrin abgewendet: nämlich in Kabul eine Regierung anzustreben, die nicht zu eng mit Indien befreundet ist. Karsai drohte im Juni damit, "in Selbstverteidigung" Truppen über die Grenze gegen Taliban-Stützpunkte zu entsenden, wenn Islamabad nicht endlich etwas gegen diese unternehme. Auch die Frage der offenen Grenze erschwert das Verhältnis: Kabul erkennt die 1.800 Kilometer lange Durand-Linie, die nach einem britisch-indischen Kolonialoffizier benannt wurde, der sie 1893 dem afghanischen Emir oktroyierte, nicht an.

Eher als die Taliban kommen daher vielleicht extremistische Islamisten aus Kaschmir als für den Anschlag verantwortlich infrage. Sie kämpfen mit eigenständigen Strukturen an der Seite der Taliban gegen die Karsai-Regierung. Motiv könnten die seit einer Woche anhaltenden gewalttätigen Proteste von Teilen der muslimischen Mehrheit im indisch besetzten Teil des umstrittenen Gebiets gegen die geplante Ansiedlung von Hindu-Zuwanderern in der Hauptstadt Srinagar sein. Schließlich könnte eine der wichtigsten Kaschmir-Gruppen, Lashkar-i-Taiba, Rache dafür genommen haben, dass indisches Militär letzten Donnerstag ihren Militärchef erschoss.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • D
    Domas

    Ist das so?

  • F
    flowerstreet

    endlich mal ein artikel, der fundiert von echter landeskunde zeugt! undnicht nur einfach abgeschriebenes von news-agencies...