piwik no script img

Schwere Flut in der WestukraineEtliche Tote, vernichtete Ernte

In der Westukraine sterben durch die schwerste Flut seit Jahrzehnten mindestens 30 Menschen. Im Dorf Meschyritscha sind viele Häuser irreparabel beschädigt.

Premierministerin Timoschenko beguckt den Schaden. Bild: ap

MESCHYRITSCHA taz Vitalik hat richtig Spaß, wenn er mit einem Pferdewagen die Hauptstraße des westukrainischen Dorfes Meschyritscha entlangfährt. Die Sonne brennt, es ist heiß an diesem Vormittag, nur vereinzelte Wolken ziehen am Himmel vorbei, und modriger Geruch hängt in der Luft. Schmutziggelbes Wasser spritzt unter den Pferdehufen hervor.

Besonders freut sich der 13-Jährige darüber, dass er endlich auf die Straße darf. Mittlerweile können sich die Menschen in Meschyritscha wieder mit Pferdewagen fortbewegen - dem gängigen Transportmittel im Dorf. Deren Räder stehen nur noch halb im Wasser. Sogar erste trockene Flächen breiten sich vor den Häusern aus. Nur an manchen Stellen, wo die Wasseransammlungen noch zu tief sind, kommt man nur auf einem Pferd oder zu Fuß voran. Die Normalität scheint fast zurückgekehrt. "Vor paar Tagen waren hier nur Amphibienfahrzeuge unterwegs. Und Soldaten waren da, die haben uns Brot und Trinkwasser gebracht. Wir fühlten uns wie auf einer Insel", sagt Vitalik.

Seit Tagen kämpft die Gemeinde gegen die Folgen einer Überschwemmung. An ein solches Hochwasser können sich hier nicht mal die Alten erinnern, obwohl Überschwemmungen in dieser Gegend keine Seltenheit sind. Meschyritscha liegt etwa 60 Kilometer südöstlich von Lemberg entfernt in einem Tal des Dnister, dem zweitgrößten Fluss in der Ukraine.

Ein paar Häuser weiter besichtigt das Ehepaar Kateryna und Andrij Frankiw die Schäden. Es ist nicht viel übrig geblieben von dem Haus, das vor hundert Jahren aus Holz und Lehm gebaut wurde. Unter der Decke zieht sich ein langer Riss hin, an zwei Stellen haben die Wassermassen große Löcher in die Wand gerissen. Der Fußboden aus rot gestrichenen Holzbrettern ist mit einer Schlammschicht überzogen. In den vergangenen Tagen hat das Wasser mehr als einen halben Meter hoch gestanden. Dass jemand hier künftig leben kann, ist unvorstellbar.

Noch schlimmer als die beschädigten Häuser ist für die Dorfbewohner aber, dass das Hochwasser die gesamte Ernte vernichtet hat. Für ländliche Regionen, wo es keine Arbeit gibt und die Renten kaum zum Leben reichen, ist die Subsistenzwirtschaft ein wichtiger Teil der Selbstversorgung. Doch das Ehepaar Frankiw, beide um die 80, nehmen das mit ihrer Lebenserfahrung ziemlich gelassen. "Vielleicht werden hier noch Rüben wachsen", sagen sie.

Fünf Tage lang hat es in der Westukraine ununterbrochen geregnet, so dass viele Flüsse wie der Prut und die Theiß Höchststände erreicht haben. Am schlimmsten hat es einige Regionen in den Karpaten und in der Bukowina getroffen. Dort kamen mindestens 30 Menschen ums Leben. Mehr als 650 Gemeinden und über 40.000 Häuser wurden überflutet, und ganze Landstriche stehen noch unter Wasser.

Das Katastrophenschutzministerium sprach von einer Jahrhundertflut. Die Flutkatastrophe ließ sogar die ukrainischen Politiker ihre Machtkämpfe kurzzeitig vergessen. Am vergangenen Donnerstag beschloss das Parlament Hilfsgelder in Höhe von fünf Milliarden Hrywnja (umgerechnet rund 700 Mio. Euro). Das reicht gerade einmal für erste Sofortmaßnahmen. Kritiker werfen der Regierung vor, Schutzmaßnahmen vernachlässigt zu haben. So sind die meisten Deiche 40 bis 50 Jahre alt, brüchig und zu niedrig, um den Fluten standzuhalten. Gespart wurde auch beim Bau von Rückhaltebecken und Poldern.

In Meschyritscha, wie fast überall in der Ukraine, haben die Menschen kein Vertrauen in Regierungsprogramme. Sie hoffen nur eins: dass die Rübenernte noch zu retten ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!