Schwedische Zeitungen: Online-Kommentare unter Kontrolle
Schwedischen Medien wollen den "Hass im Netz" auf ihren Online-Portalen stoppen und reglementieren die Kommentarfunktionen. Die Piratenpartei findet das heuchlerisch.
STOCKHOLM taz | "Verschärfte Regeln für Leserkommentare" kündigte Schwedens größtes Print- und Onlinemedium, die stockholmer Boulevardzeitung Aftonbladet am Dienstag an. Nachdem durch die Terrortaten in Norwegen das Debattenklima im Netz in den Fokus gerückt sei, wolle man in Zukunft anonyme Kommentare stoppen. Die Kommentarfunktion werde nur mehr durch Einloggen über einen Facebook-Account zu aktivieren sein.
Vorbild sei die im gleichen Schibsted-Verlag erscheinende Osloer VG, die mit einer vor einigen Wochen eingeführten entsprechenden Regelung gute Erfahrungen gemacht habe: Zwar gebe es dort nun 10 bis 20 Prozent weniger Kommentare "aber einen ganz anderen Debattenton", so Aftonbladet-Chefredakteur Jan Helin.
Am Montag hatten bereits die beiden im Bonnier-Verlag erscheinenden stockholmer Tageszeitungen Dagens Nyheter (DN) und Expressen Änderungen bei ihren Online-Kommentar-Funktionen vorgenommen. DN stellte diese Funktion bis Oktober ganz ab. Da will man ein System einführen, das die Vorab-Einrichtung eines Accounts mit verifizierter E-Mail-Adresse erforderlich macht. Einen Schritt, den Björn Hedensjö, Chef von dn.se als "bedauerlich aber leider notwendig" bezeichnet. Der Ton sei in letzter Zeit "zu grob" geworden.
Rassistische Kommentare
"Zu viele off-topic-Kommentare" nennt Expressen-Chefredakteur Thomas Mattsson als einen Grund dafür, warum seine Zeitung mit sofortiger Wirkung von einer nachträglichen zu einer Vorab-Moderation der Kommentare übergehe. Vor allem viele rassistische Kommentare seien durch das bisherige System gerutscht, publiziert und oft erst nach Stunden entdeckt und gelöscht worden. Nun werde nichts mehr Online landen, was die Redaktion nicht auch verantworten könne. Anonyme Kommentare blieben aber auch in Zukunft möglich.
Der schwedische Journalistik-Professor Sigurd Allern begrüßt die neuen Regeln: Die Verantwortung der Redaktion umfasse auch die Stellungnahmen der Leser. Persönliche Angriffe und Schimpfworte würden eine vernünftige Debatte nur erschweren.
Anna Troberg, Vorsitzende der schwedischen Piratenpartei wirft dagegen den Redaktionen vor, sie fielen von einem Extrem ins andere: Zunächst habe man die Kommentarspalten für alle geöffnet, "wie eine Party ohne Gastgeber". Dadurch seien diese teilweise zu "Pissrinnen" geworden, hätten aber Klicks gebracht. Nun stehle man sich erneut aus der Verantwortung, denn die "wegmoderierten" Ansichten gebe es ja nach wie vor in der Gesellschaft.
Ihre Empfehlung: Mit den Kommentatoren kommunizieren. "Versucht mit ihnen zu reden. Ich habe festgestellt, dass viele, die da Schwachsinn ablassen nur Aufmerksamkeit haben wollen. Bekommen sie die, beruhigen sie sich schnell und man kann oft ein ganz normales Gespräch führen." Und die vereinzelten "Hoffnungslosen", die es natürlich auch gebe, könne man ja tatsächlich "nach einer Warnung und mit öffentlicher und klarer Begründung bannen".
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