■ Schweden: Gericht muß Kinderpornographie verkaufen: „Ich mußte fast kotzen!“
Stockholm (taz) – Das Stockholmer Amtsgericht ist zum Pornoladen geworden. JedeR kann dort ohne weitere Begründung mit Kindern gedrehte Pornofilme bestellen und erhält sie zum Selbstkostenpreis von 500 Kronen (ca. 110 DM) zugeschickt. Diese seltsame Folge des schwedischen „Öffentlichkeitsprinzips“ – jede „öffentliche Handlung“, jeder Brief, jeder Film, der Gegenstand von Verwaltungs-, Regierungs- oder Gerichtsvorgängen ist, kann in Schweden grundsätzlich von jedem Bürger eingesehen werden – wurde vom Oberlandesgericht in Stockholm jetzt ausdrücklich bestätigt.
Die Filme mit den zu Pornoaufnahmen mißbrauchten Kindern – Polizeiinspektor Lars Lundin: „Ich arbeite seit 1985 mit solchen Sachen, es ist das Schlimmste und Perverseste, was ich bisher gesehen habe, ich mußte fast kotzen“ – sind Beweismittel in einem Prozeß gegen eine Gruppe von Pornofilmherstellern und -händlern. Das Amtsgericht hatte vor einigen Wochen erste Anfragen von InteressentInnen, die sich auf das Öffentlichkeitsprinzip beriefen, abgelehnt: dieses Prinzip dürfe nicht dazu führen, daß das Gericht auch noch zur weiteren Verbreitung des illegalen Schundes beitrage. Außerdem werde damit die Persönlichkeit der mißbrauchten Kinder noch zusätzlich verletzt. Die höhere Instanz sah es anders: es gebe nur eine einzige Einschränkung des Öffentlichkeitsprinzips, nämlich der Schutz von Staatsgeheimnissen. Das Persönlichkeitsrecht der zu Pornoaufnahmen mißbrauchten Kinder wurde ausdrücklich dem Öffentlichkeitsprinzip untergeordnet. Die illegalen Pornofilme müssen jetzt vom Amtsgericht zum Selbstkostenpreis und damit zu einem Preis, der vielfach unter dem ehemaligen Ladenpreis liegt, geliefert werden. Der Justizkanzler als Vertreter der Regierung kann den Beschluß des Oberlandesgerichts nicht kritisieren: „Es ist unbefriedigend, aber entspricht ganz eindeutig der herrschenden Rechtslage.“ Ingemar Korfitsen, einer der Richter des Obersten Gerichts, gestand öffentlich: „Ich mußte gegen meine Meinung entscheiden, aber das Gesetz läßt keine andere Möglichkeit zu.“
„Öffentlich“ sind die Filme nur, so lange sie als Beweismittel in dem laufenden Prozeß dienen. Kommt es zu einer Verurteilung und zum allgemein erwarteten Urteilsspruch, daß die Filme eingezogen und vernichtet werden müssen, steht dem das „Öffentlichkeitsprinzip“ nicht mehr entgegen. Eine der in den Prozeß verwickelten Pornofirmen hat deshalb selbst die Überlassung von Kopien beantragt: damit könnten die Filme unabhängig vom Prozeßausgang illegal in Schweden und im Ausland weiterverkauft werden.
Die Regierung bastelt jetzt an einer Eilvorlage für den Reichstag, um noch vor der Sommerpause das Gesetz zu ändern. Wenn es nach Justizministerin Gun Hellsvik geht, soll dann gleich der bloße Besitz von Kinderpornos verboten werden. Reinhard Wolff
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