Schwarz-gelber Koalitionsvertrag: Was schon Konsens ist
Mindestlohn, Wehrpflicht, Arbeitsmarkt: Wo sich Union und FDP schon einig sind. Eine Übersicht, zitiert aus dem vorläufigen Koalitionsvertrag, der der taz vorliegt.
Union und FDP stellen die von der großen Koalition beschlossenen Mindestlöhne wieder in Frage. Das geht aus dem Entwurf des Koalitionsvertrags hervor, der der taz vorliegt.
Arbeitsmarkt: Die beiden Parteien haben sich darauf verständigt, "die gesetzlichen Regelungen zum Mindestlohn bis Oktober 2011 zu evaluieren". Die Überprüfung soll Erkenntnisse darüber liefern, ob die Untergrenze für die Bezahlung Jobs vernichtet oder gefährdet. Danach wollen die Koalitionäre entscheiden, "ob die geltenden Mindestlohnregelungen Bestand haben oder aufgehoben werden sollten". Die große Koalition aus Union und SPD hat in den vergangenen Jahren mehrere Branchen mit Mindestlöhnen ausgestattet. Diese Regelungen sind nun gefährdet.
Hartz IV: Die FDP hat einen Einstieg in ihr Bürgergeld-Konzept durchgesetzt. Die Koalition will versuchen, "die Energie- und Nebenkosten sowie gegebenenfalls die Kosten der Unterkunft zu pauschalieren". Hartz-IV-Empfänger bekämen dann nicht mehr ihre tatsächlichen Kosten erstattet, was für manche mit herben Einbußen einhergehen dürfte. Die beiden Parteien wollen dabei aber "regionale Besonderheiten" berücksichtigen.
Bundeshaushalt: Um das Defizit im Budget zu reduzieren, nehmen sich Union und FDP vor, dass das "Ausgabenwachstum unter dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts bleiben muss". Weil die Einnahmen unter dieser Voraussetzung schneller steigen als die Ausgaben, würde das Etatloch schrumpfen. Als weitere Sparmaßnahmen nennen Union und FDP die Deckelung der Bundeszuschüsse für die Sozialversicherungen: "Ein weiteres Anwachsen der Bundesleistungen über die bestehenden Regelmechanismen hinaus ist nicht möglich." Werden die Sozialsysteme trotzdem teurer, müssten die Bürger höhere Beiträge zahlen oder mehr Leistungen privat versichern. Neben dem ausgelagerten Parallelhaushalt zur Finanzierung der Defizite der Bundesagentur für Arbeit enthält der Koalitionsvertrag einen weiteren potenziellen Schattenetat. Die Verkehrsinfrastrukturgesellschaft soll das Recht erhalten, Kredite aufzunehmen, um Straßen zu bauen.
Unternehmensteuer: Mit einem Sofortprogramm wollen Union und FDP die Unternehmensteuerreform der großen Koalition "teilweise korrigieren". Einige der Maßnahmen sollen schon zum 1. Januar 2010 greifen. Konzerne und mittelständische Firmen erhalten die Möglichkeit, höhere Beträge von der Gewinnsteuer abzusetzen. Die Energiesteuer will die neue Regierung auf das Niveau der ersten Stufe der Ökosteuerreform von 1999 zurückführen. Auch das würde Firmen entlasten.
Erbschaftsteuer: Geschwistern, Nichten und Neffen von Verstorbenen sollen niedrigere Steuersätze erhalten. Ferner räumt man Firmennachfolgern das Recht ein, mehr Jobs abzubauen, ohne die Freistellung von der Erbschaftsteuer zu verlieren.
Kartellrecht: Energiekonzerne oder Banken müssen sich darauf einstellen, dass ihnen das Bundeskartellamt künftig mit einem "Entflechtungsinstrument" auf den Leib rückt. Zu große Unternehmen, die den Markt beherrschen, können dann aufgespalten werden. Außerdem wollen sich die Koalitionäre für die Gründung eines europäischen Kartellamts einsetzen.
Verbraucherschutz: Hier hat die FDP Verbesserungen gegenüber der Rechtslage durchgesetzt. "Das geltende Verbraucherinformationsgesetz wird reformiert und auf alle Produkte und Dienstleistungen ausgedehnt", heißt es im Vertragsentwurf. Firmen müssten dann mehr Informationen herausrücken.
Wehrdienst: Vertreter von Union und FDP haben sich darauf verständigt, die Wehrpflicht zu erhalten. Der derzeit neun Monate dauernde Wehrdienst solle aber zum 1. Januar 2011 auf sechs Monate verkürzt werden.
Vorratsdatenspeicherung: Der Erfolg der FDP bei der Vorratsdatenspeicherung fällt geringer als zunächst angenommen. So soll die Nutzung der Daten über Telefon- und E-Mail-Verbindungen bis zu einer Entscheidung des Verfassungsgerichts weitgehend ausgesetzt werden. "Bundesbehörden" dürfen die Daten einstweilen nur noch zur Abwehr einer Gefahr für Leib, Leben und Freiheit einer Person benutzen. Die Einigung betrifft im wesentlichen also nur das Bundeskriminalamt. Die überwiegend bei den Bundesländern angesiedelte sonstige Polizei kann die Daten weiter verwenden und zwar sowohl für die Strafverfolgung wie für die Gefahrenabwehr. Jedes Bundesland müsste also für seinen Bereich beschließen, dass es sich der Einigung auf Bundesebene anschließt.
Internetsperren: Die Aussetzung von Internetsperren dürfte deutlich länger währen als ein Jahr, hier wäre der Erfolg der FDP also größer als gedacht. Im Koalitionsvertrag heißt es zwar, dass das im Juni beschlossene Gesetz, das durch Internetsperren den Zugang zu Kinderpornographie erschweren soll, "für ein Jahr" nicht angewandt wird. Allerdings sollen danach zunächst die Erfahrungen evaluiert werden, wie gut es gelungen ist, Kinderporno-Seiten gleich beim Host-Provider zu löschen. Anschließend soll anhand der Evaluierung ergebnisoffen eine Neubewertung des Gesetzes vorgenommen werden. Das alles kann dauern. Im Vertrag heißt es dazu: "Vor Abschluss der Neubewertung" werden beim BKA keine Sperrlisten geführt und an die Provider übermittelt."
Flugdaten: Die Koalition ist sich bewusst, dass die nächsten großen Überwachungsprojekte auf europäischer Ebene beschlossen werden sollen. So plant die EU-Kommission ein eigenes System zur Speicherung von Fluggastdaten. Für die Terrorbekämpfung sollen die Reisedaten von Fluggästen 13 Jahre lang registriert bleiben. Bisher werden die Daten aufgrund eines Abkommens nur an die USA weitergegeben. Länder wie Frankreich und Großbritannien sind für eine eigene EU-Speicherung. SPD-Justizministerin Brigitte Zypries lehnte dies als "verfassungswidrig" ab. In der Koalitionsvereinbarung heißt es: Falls eine EU-Richtlinie komme, werde ein "höheres Datenschutzniveau" angestrebt als bei der Vereinbarung mit den USA.
Bankdaten: Auch bei den Verhandlungen mit den USA zur Nutzung europäischer Bankdaten will die Koalition nicht blockieren. Angestrebt wird in diesem Abkommen "ein hohes Datenschutzniveau". Es soll "klare Regelungen bezüglich Weitergabe an Drittstaaten" geben. Union und FDP sind also einverstanden, dass Bankdaten von den USA auch an Staaten weitergegeben werden können, wenn dies nur klar geregelt ist. Die Datenmenge soll aber aufgrund einer "Bedrohungs- und Gefährdungsanalyse" eingegrenzt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland