■ Schuldspruch für zwei zehnjährige Kindsmörder: Killer und Kinder
Es sind „perverse Killer“, „Bestien“, „Monstren mit dem Bösen im Herzen“ – die Worte, mit denen die britische Boulevardpresse und der Mob vor dem Gerichtsgebäude im englischen Preston die beiden Angeklagten beschreibt, zeigt die ganze Hilflosigkeit, mit der man Kindesmördern begegnet, die selbst noch Kinder sind. Zehnjährige – das wissen auch diejenigen, die jetzt ihren Kopf fordern – sind für ihre Taten nicht allein verantwortlich, selbst wenn die englische Rechtsprechung anderer Meinung ist. Je schwerer das Verbrechen und je jünger die Täter, desto vehementer muß man sich von ihnen abgrenzen: Sie dürfen nicht normal sein, sondern werden zur perversen Laune der Natur erklärt, gegen die man machtlos ist.
Das löste im Fall von Robert Thompson und Jon Venables, die gemeinschaftlich den knapp dreijährigen James Bulger ermordet haben, eine ganze Kette von Abgrenzungen aus: Die Welt blickt entsetzt auf Großbritannien. Die britische Bevölkerung macht Liverpool verantwortlich und erinnert sich an die Katastrophen von Heysel und Sheffield, in die Liverpooler Fußballfans verwickelt waren. Und die fußballverrückte Stadt selbst schiebt ihrem Problembezirk Walton und seinen Menschen die Schuld zu. Deshalb ist die Wut derjenigen in Walton, die seit Jahren den Ruch des Ghettos loswerden wollen, auf die Thompsons und die Venables um so größer. Sie werden zu Außenseitern gemacht, die in Walton nichts zu suchen haben.
Robert Thompson und Jon Venables sind Kinder. Das soll keineswegs das furchtbare Verbrechen entschuldigen, sondern die Reaktionen auf den Fall einordnen helfen: Er wird von Politikern mißbraucht, um politische Interessen durchzusetzen. Bildungsminister John Patten spricht moralisierend von „Sünde“, Innenminister Michael Howard macht alleinerziehende Mütter für die steigende Jugendkriminalität verantwortlich. Er benutzt den Fall der beiden Zehnjährigen, um sein Gesetz durchzuboxen, das ausschließlich auf Bestrafung setzt. Außerdem sollen ledige Mütter gezwungen werden, bei den Eltern zu wohnen, und Ehepaare bei Scheidung finanziell bestraft werden, wenn es nach Howard geht. Ein Justizsystem, das mit fünf Millionen Verbrechen im Jahr umgehen muß und sich dabei an einer Handvoll Fälle ausrichtet, kann nicht funktionieren.
Ein anderer Fall trug sich vor zwei Monaten zu: Ein etwa 40jähriger Mann wurde von dem Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen, weil sein Opfer die Tat herausgefordert habe. Das Urteil löste beim Kinderschutzbund und anderen Organisationen zu Recht Empörung aus, weil die betroffene Frau noch ein Kind war und deshalb die Tat gar nicht herausfordern konnte. Das Mädchen war 13. Ralf Sotscheck, Dublin
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