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Schriften zu ZeitschriftenBatmans Rückkehr

■ „Babylon“ und „Tikkun“

„Auf uns hat man gewartet – machen wir, daß wir wegkommen“, lautet eine der Formeln, auf die die Zeitschrift Babylon ihren Balanceakt zwischen säkularem jüdischen Universalismus und Nabelschau gebracht hat. In mittlerweile zwölf Ausgaben hat Babylon an einem intellektuellen Diskurs jüdischer Themen gestrickt, der jenseits der klassischen Sprecherfunktion Juden in Deutschland bewegt. Von Art Spiegelman über die DP-Camps zu Gerschom Scholems „Batmans Rückkehr“ oder „Franz Kafka: Unbestimmter Wohnsitz“ reicht das Terrain, das laut und deutlich „Diaspora“ genannt wird: Zu den Problemen des Staates Israel stellt sich Babylon „exterritorial“.

Beispiel für den modus operandi der Halbjahresschrift ist die Annäherung an das Thema „Bilderverbot“ von verschiedenen, sich durchaus in den Haaren liegenden Seiten. Was die Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch seinerzeit in einem Essay über „Mimesis und Bilderverbot in der Ästhetik Adornos“ begann, führt Micha Brumlik in der jetzigen Ausgabe mit der Diskussion des theologischen Sinns des Bilderverbots weiter. Koch, die einen exorbitanten Teil ihrer Zeit darauf verwendet, Adorno gegen seine Liebhaber in Schutz zu nehmen, entwindet verschiedenen Textpassagen, unter anderem der „Kulturindustrie“, einen utopischen Charakter des Bilderverbots, nämlich als Vorboten ästhetischer Autonomie. Wo nur noch nicht-ähnliche Bilder entstehen dürfen, ist der Weg frei in die Abstraktion. Statt des mimetischen Zwangs, den die Kulturindustrie ausübt und in dem alles „mit Ähnlichkeit geschlagen ist“, stellt das Bilderverbot über die bestimmte Negation einen Stellvertreter der Utopie zur Verfügung. Besonders ans Herz gelegt sei der Aufsatz Filmfreunden, die nach der Konsumption von „Drei Farben: Blau“ ihren Glauben an das Gute im Kino schon mit dem Bade ausschütten wollten: Hier findet Ihr Trost im Phänomenologischen. Es ist dunkel und zwiespältig die Rede davon, daß in der „Verschriftung der Einzelbilder“ kurz ein „apparatfreier Aspekt der Wirklichkeit“ aufblitzt (Heft 6/1989).

Brumlik wiederum ist der Auffassung, eine nicht-theologische Debatte des Bilderverbots stelle nichts als einen flatus vocis dar. Wenn Adorno/Horkheimer vom „Rettenden“ sprächen, könne man „Gott“ einsetzen oder nicht, entscheidend sei, daß es oder er den Menschen in absoluter Freiheit gegenüberstehe. Wenn er durch Götzendienst und magische Rituale mobilisierbar sei, werde aus dem Richter und Befreier ein Subalterner, den jeder Aladdin aus seiner Wunderlampe hervorzaubern kann.

An drei verschiedenen Debatten innerhalb der welthistorischen Auseinandersetzung um das Bilderverbot in der christlich-jüdischen Welt spielt Brumlik die Frage durch, ob sich die Hoffnungen der Menschen auf Gottes Nähe und Freundlichkeit mit der Vorstellung von seiner Unverfügbarkeit überhaupt vereinbaren lassen. Nicht zuletzt durch Luther sei die Frage nach der Berechtigung des Bilderverbots zur existentiellen Frage des Christentums geworden: Keine „Fleischwerdung“ Gottes in Christi ohne eine Vorstellung von ihm. Von da aus geht es für Brumlik flugs in den Antisemitismus: die Verneinung der Fleischwerdung, die Insistenz auf der Schrift, der Diesseitigkeit und dem Messianismus sei es ja gerade gewesen, was den christlichen Antisemitismus wieder und wieder als die „zersetzenden und Individualität auslöschenden Elemente des Judentums bezeichnet“ hätte. Dabei führt, 1:0!, die christlich-platonische Metaphysik in den Vorrang des Seins vor dem Sollen, während das jüdische Denken auf dem Vorrang der Ethik vor der Ontologie beharrt. Mit Lévinas endet Brumlik dann plötzlich doch wieder auf einer anthropomorphen Note: Indem von Gott (oder, für Säkulare: dem Rettenden) nur noch ein Buchstabe, ein Zeichen bleibe, in dessen Spur wir uns bewegen, werde das Antlitz des anderen Menschen zum bedeutsamsten Kassiber des sich verweigernden Gottes.

Wo Babylon ansonsten skrupulös mit eigenen und erst recht fremden Erlöserphantasien umgeht, nennt sich das amerikanische Pendant Tikkun, forsch nach „Tikkun Olam“: die zerstörte Welt heilen, wiederherstellen. Ohne auch nur einen Hauch von Ironie beginnt die letzte Ausgabe – wie schon einige zuvor – mit einem „Memo to Bill Clinton“, in welchem dem Präsidenten auf fünf Seiten in einfachen Worten erklärt wird, wie er mit dem Thema „Schwule und Lesben in der Armee“ zu verfahren habe. Die Zauberformel des Herausgebers Michael Lerner für alle Übel dieser Welt – von menschlicher Isolation, Arbeitszeitverkürzung, spiritueller Armut, Sex, Nahost-Konflikt oder Ausbeutung der Dritten Welt heißt „Politics of Meaning“. Sein Anliegen ist ein doppeltes: Er will desillusionierte, säkularisierte Juden der 68er-Generation wieder an das Judentum binden und gleichzeitig dem jüdischen Establishment demonstrieren, daß auch linke Juden in der Tradition verankert sind. Dieser Balanceakt führt zum Beispiel dazu, daß Tikkun zu Jom Kippur eine Gebetsbeilage enthält, in der Vergebung für die Sünde erbeten wird, „daß wir uns egoistisch um uns selbst gekümmert haben, während in unserer Nachbarschaft, in Somalia, in Bosnien und in Israel Menschen Hunger und Unterdrückung erleiden“. (Wen wundert's da, daß die Village Voice neulich fragte: „Is Superman Jewish?“)

Während diese Strategie durch die gesamte Ära Bush hindurch immerhin dazu führte, daß Intellektuelle verschiedenster Provenienz im frohen Bewußtsein ihrer Machtlosigkeit Gedichte und Streitschriften austauschten, so hat man jetzt den Eindruck, als wähne sich das Blatt nur noch in Clintons Soufflierkasten – ein Treppenwitz im State Department. Mariam Niroumand

„Babylon“, Beiträge zur jüdischen Gegenwart, Nr.12. Verlag Neue Kritik, Frankfurt 1993, 20 DM.

„Tikkun“, Vol.8, Nr.5, 15 DM.

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