■ Schreibengericht: Gerry Hemingway Quintet
Slamadam (Random Acoustics RA012)
Das Stichwort von der „neuen Komplexität“ macht nicht nur in der Neuen Musik die Runde. Auch im Jazz hat die Stagnation durch Neo-Traditionalismus und Free- Jazz-Konservativismus ein Bedürfnis nach ausgeklügelteren Formen stimuliert, in denen Improvisation und Komposition in ein beziehungsreicheres Verhältnis zueinander treten. Gerry Hemingway – langjähriges Mitglied im Anthony Braxton Quartet und durch seine Zusammenarbeit mit John Cale auch über das Jazzghetto hinaus bekannt – hat vor etlichen Jahren schon den Grundstein für eine Konzeption gelegt, die er inzwischen mehr und mehr verfeinert hat. Seine Kompositionen entspringen der Welt der Rhythmen. Sie basieren weniger auf melodischen oder harmonischen Einfällen, sondern gehen von polymetrischen Mustern aus. Hemingway liebt es, die Instrumentalisten seines Quintetts in verschiedenen Taktmaßen agieren zu lassen, so daß die unterschiedlichen Stimmen sich unabhängig voneinander bewegen und trotzdem aufeinander bezogen bleiben. Zudem verfügt seine Musik über eine Tugend, die modernem Jazz allzuoft abgeht: sie swingt wie der Teufel! Von seinem Drumset aus hält der Bandleader die beiden Bläser und die zwei Saiteninstrumentalisten in feiner Balance, bremst ab oder gibt Gas, wo es nötig erscheint, und steuert so seine Band sicher durch die diffizilen Partituren. Dem Entfaltungsdrang der Musiker wird in ausgiebigen solistischen Ausflügen Raum gegeben. Michael Moore setzt auf Altsaxophon und Klarinette mit melodischem Gespür einen Kontrapunkt zur hehren Abstraktion, während Ernst Reijseger wieselflink dem Cello atemberaubende Läufe entwindet und auch Posaunist Wierbos sein Blech nicht schont. Egal, ob der Jazz schon tot ist oder nur komisch riecht – Musiker dieses Schlags könnten ihn zu neuem Leben erwecken. In diesem Sarg ist Musik drin!
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