■ Schöner Leben: Die Hineinkriechende
SCHÖNER LEBEN
Die Hineinkriechende
Jetzt donnern sie wieder. Die Hobel. Die Hirsche. Die Böcke. Auf Rathausplätzen gedenken christliche Motorrad-Korsos der in der letzten Saison gefallenen Brüder und Schwestern. Bei den Motorraddealern werden Kaufverträge per Stempelautomat unterschrieben. ADAC-Unfallstatistiker laufen sich warm. Motorradfrühling! Der Anlaß ist gegeben, doch welche Perspektive bietet sich an? Na: die auf die Sozia!
In unserer kleinen Typologie der Beifahrerin betrachten wir zunächst die Hochaufragende. Sie sitzt, aus der Fahrerperspektive, unnahbar fern hinten, hart am Gepäckträger, reglos, ja unbewegt. Der Fahrer hat sie bald vergessen und staunt beim nächsten Tankstop nicht schlecht, daß er nicht allein ist. Ganz anders die Redselige. Sie redet pausenlos über Beruf oder das Fernsehprogramm, als säße man in einer Limousine, und überspielt mit großer Ausdauer ihre Todesangst. In Kurven kneift sie den Fahrer schmerzhaft in die Lenden. Dabei redet sie immerfort. Gefürchtet ist auch die Kundige. Sie hat in aller Regel Physik studiert und wirft ihren Körper furchtlos in jede sich bietende Kurve. Der Fahrer ist vollauf damit beschäftigt, das Gleichgewicht wiederzufinden und schlimmste Stürze zu vermeiden. Dem Inbegriff der Sozia, von dem Pubertierende genauso träumen wie Werbetreibende, begegnet man selten; es ist die Hineinkriechende. Sie schmiegt sich mit jedem denkbaren Körperteil an den stolzen Herrscher über 100 PS und gibt sich Dreh-, Trägheits- und Aufrichtmomenten der Mann-Maschine-Einheit juchzend hin. Dabei umfaßt sie derart seine Hüften, daß er gelegentlich scheu um sich blickt.
Aus sicherheitstechnischen aber ist nur die eine zu empfehlen: die Wütende. Durch einige hektische Bremsmanöver und tolldreiste Überholvorgänge provoziert, liegt sie alsbald wie ein nasser Sack auf der Sitzbank und harrt des Endes der Ausfahrt. Ihre Reaktionen sind absolut neutral, sie lenkt weder Kopf noch Herz ab. Letztlich ist der Motorradmann ohnehin einsam. In diesem Sinne: Pleuel- und Steuerkettenbruch! Burkhard Straßmann
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