■ Schöner Leben: Weltschmerz
SCHÖNER LEBEN
Weltschmelz
Da, wo kleine Schiffe tanzen und wilde Hunde weh'n; wo die Knechte von der Arbeit ruh'n und das Wasser an Land will, da liegt Bremens Arkadien und heißt Osterdeich. Da fließen Gefühle wie Milch und Honig oder vielleicht eher wie grünes Sprite, gelbes Fanta und blaues Sinalco. Kann es einem hier zu bunt werden?
Es muß jemand gegeben haben. Der hat den ganzen Zinnober durchschaut und dem Osterdeich MELANCHOLIE auf die Promenade geschrieben, also ein großes Wort. Es kann nur am späten Nachmittag geschehen sein, gegen fünf. Weil: nach sechs wird ja schon alles wieder gut. Da läßt man endlich alle verpaßten Chancen fahren und läuft in den Abend ein wie in ein verdientes Ziel.
Jedenfalls liegt da nun ein Wort rum am Osterdeich — wie ein rotes Tuch zwischen lauter Wimpelseligkeit: zwischen flatternden Müttern, knatternden Kindern und sumsenden Radfahrern und scheint keinen zu reizen. Warum auch nach unten schauen und von Weltschmerz lesen, wenn oben soviel Himmel ist! Und rechtschaffen ist ja auch die norddeutsche Heiterkeit und eher praktisch das Verhältnis zur Sonne. Wen soll hier also was schmerzen? Und dann gleich die ganze Welt? Das Leben ist eben leicht oder schwer. Und vermutlich gibt vorgeschriebene Melancholie auch nicht mehr her.
Am Wochenende, wenn tausende die Promenade gewaltsam mit Frohnatur überziehen, ist eh alles wurscht und Weltschmerz nur ein Wort, aber ein großes. Claudia Kohlhase
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