■ Schnittplatz: Ort der Qual
Mit der Hitzewelle könnten wir noch fertig werden, die Niederlage der deutschen Mannschaft bei der Fußball-WM würden wir auch noch verkraften. Doch was diesen Sommer zu einer nicht enden wollenden Tortur macht, das ist Thomas Koschwitz mit seiner RTL- Night-Show. Von Montag bis Freitag täglich 45 grausame Minuten, bis uns endlich Heiner Bremer mit seinem „Nacht-Journal“ erlöst.
Koschwitz ist der Gipfel, freilich einer, der mit der Spitze nach unten in den weichen Boden gerammt wurde. Man muß sich fragen, ob er sich schon mal eine seiner Sendungen angesehen hat. Und wenn ja: Wie hat er das nur ausgehalten? Mit verbundenen Augen und dicken Ohrenschützern?
Wir wissen, daß es im Sommer auf Einschaltquoten nicht so sehr ankommt und das Fernsehen die vielen Wiederholungen mit einigen Probesendungen umrahmt. Doch warum wird die Testreihe mit Koschwitz fortgesetzt, bis auch der letzte Bauer im Altmühltal seine Satellitenschüssel gegen einen Game-Boy eingetauscht hat? Koschwitzs Gäste sind zweite bis dritte Wahl, Prominente aus dem Waschsalon, die Künstler kommen direkt vom großen Strandfest in Scharbeutz ins Studio, und die Art, wie Koschwitz seine Interviews führt, erinnert – nein, nicht an David Letterman, wie es der Vorspann und die Studioeinrichtung suggerieren möchten, sondern an den Mann vom Mars, der sich auf seinen Besuch auf der Erde mit fünf Sätzen aus einer alten Ausgabe von Reader's Digest vorbereitet hat. Selbst Zwergriesen wie Gottlieb Wendehals und Rio Reiser schaffen es mühelos, Koschwitz einzumachen.
Wir kennen auch niemand, der so herzlich über seine eigenen Witze loslacht wie Koschwitz, bis seine Gäste nach einer Schrecksekunde mitlachen, aus Höflichkeit, aus Mitleid oder weil der Aufnahmeleiter eine Kalaschnikow in den Saal hält.
Koschwitz ist ein Phänomen, nach ihm wird mal ein Zweireiher oder ein längeres Tief über den Lofoten benannt werden. Daß er uns den Sommer vermiest hat, würden wir ihm noch verzeihen. Doch daß wir inzwischen die Tage zählen, bis Gottschalk wiederkommt, das werden wir ihm ewig übelnehmen.Henryk M. Broder
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