■ Schnittplatz: Betreten verboten
„Betreten der Baustelle verboten. Eltern haften für ihre Kinder“, stand in meiner Kindheit am Eingang der schönsten Spielplätze. Im nächsten Jahr wird bei uns eine EU-Vorschrift gültig, die Kinder beim Spielen in der deregulierten TV-Landschaft vor den gefährlichsten Baustellen bewahren will: Im Spätprogramm nach 22 Uhr werden jugendgefährdende Sendungen künftig mit einem Warnhinweis versehen. Auch hier haften letztlich die Eltern, denn ihnen obliegt es, die Einhaltung der Abstinenzpflicht zu überwachen. Und hier wie dort, stöhnen die überforderten Aufsichtspflichtigen, das Baustellen-Schild allein genüge doch nicht, man möge doch bitte die Gefahrenzone mit höheren Zäunen absichern.
So will eine Forsa-Umfrage bei einer Eltern-Befragung ermittelt haben, daß jeder zweite Erziehungsberechtigte die EU-Richtlinie für nicht ausreichend hält: Man wünscht sich mehrheitlich ein durchgehend eingeblendetes Warnsymbol, Anti-Sex & Crime-Zeichen in den TV-Zeitschriften und die Kennzeichnungspflicht auch auf das Tagesprogramm. Mal davon abgesehen, daß Jugendgefährdendes im Sinne des Jugendschutzgesetzes sowieso nicht vor 22 Uhr ausgestrahlt werden darf, wissen wir doch, was die besorgten Eltern meinen: Affekt-Fernsehen am Nachmittag, Action-Serien im Abendprogramm, versaute Comedys und überhaupt ... Absurd, daß hier ausgerechnet die erste TV-Generation angeblich nach mehr Reglementierung verlangt. Jene „Fury“-Generation, die mit der Flimmerkiste aufgewachsen ist und also in der Lage sein sollte, ihre Kinder in Medienkompetenz zu unterweisen. Die Realität freilich sieht anders aus: Andere Untersuchungen haben nämlich längst zutage gefördert, daß die Gameboy-Kids längst über wesentlich mehr Medienkompetenz als ihre vom ZDF sozialisierten Eltern verfügen: Die Söhne und Töchter programmieren die Videorekorder, kennen die Programmstruktur aus dem Effeff, erklären Mama, wie die Kindersperrtaste am neuen Fernseher funktioniert. Wer haftet da eigentlich für wen? Klaudia Brunst
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