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Archiv-Artikel

ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL Schlimmer geht immer

Es gibt ein Land, wo der Sommer noch schlechter war als hier. Ich war da

Warnung der Redaktion: Leser, die einen stilisierten Elch als Aufkleber an ihrem Auto haben, sollten diesen Text mit der nötigen Gelassenheit lesen.

Ich verbringe meinen Urlaub in Schweden. Warum, weiß ich auch nicht. Man kann zwischen der Karibik und den Malediven wählen, Rom interessanter finden als Barcelona und sich für die Toskana oder gegen Mallorca als Urlaubsziel entscheiden, Schweden hingegen ist in einer gewissen Lebensphase unumgänglich. Früher musste, wer ein Kind zeugte, heiraten. Heute muss man nur für zwei Wochen nach Skandinavien.

Wobei ich nichts gegen die Schweden habe. Immer, wenn ich bisher in meinem Leben welche kennen lernte – in der Karibik, auf den Malediven, in Rom, Barcelona oder auf Mallorca –, waren sie eigentlich nette Gesellen, die leicht melancholisch waren, schwer tranken und dann von den tiefen Seen und dunklen Wäldern ihrer Heimat erzählten.

Und sie haben nicht gelogen! Jetzt, wo ich selbst da bin, kann ich es bestätigen: In Schweden gibt es wundervolle tiefe Seen und wundervolle dunkle Wälder. Außerdem noch Seen und Wälder. Also wirklich einmalig, diese Seen und Wälder. Wir sind gleich begeistert, als wir an unserem ersten Tag unser Holzhaus in einem Wald vor einem See beziehen.

Am zweiten Tag schwimme ich erst einmal hin und zurück durch den ganzen See. Großartig. Nachmittags machen wir dann alle gemeinsam einen Spaziergang durch den Wald. Extra fein. Davor und danach hören wir, wie schön der Regen auf das Dach unseres Holzhauses klopft.

Am dritten Tag und an allen folgenden Tagen schwimme ich sogar zweimal durch den See. Am vierten Tag schwimme ich zweimal am Tag zweimal durch den See. Am fünften Tag bremst der Muskelkater weiteren Ehrgeiz. Sonst gibt es hier ja nicht so viel, was einen von körperlicher Ertüchtigung abhalten könnte. Eigentlich seltsam, dass die schwedische Mannschaft nicht mehr Medaillen bei der Schwimmweltmeisterschaft gewonnen hat. Den nachmittäglichen Waldspaziergang lassen wir uns nicht nehmen, auch wenn die Schuhe noch vom Vortag nass sind.

Am sechsten Tag beginnen wir uns ein wenig einsam zu fühlen. Also fahren wir 30 Kilometer zum nächsten Vorposten der Zivilisation: einem Supermarkt. Unser Einkauf ist nur ein Vorwand, um Menschen zu sehen. Denn wie jeder Skandinavienurlauber haben wir natürlich einen ganzen Kombikofferraum voll mit Lebensmitteln, Süßigkeiten, Bier und Windeln. Einkaufen ist in Schweden nicht so gut. Essen gehen übrigens auch nicht. Ruinen angucken – woanders die Ausweichmöglichkeit bei schlechtem Wetter im Urlaub – entfällt wegen Mangels an Architektur und Geschichte.

Falls das jetzt ein bisschen wie Mäkeln geklungen hat: Nehmen Sie es mir nicht krumm, liebe Schweden. Ausdrücklich möchte ich hier auch die durchaus vorhandenen Errungenschaften Ihres Landes benennen:

1) Sie haben einen vorbildlich ausgebauten Sozialstaat. „Noch mehr Steuern als Regen“, erklärt uns der Kassierer im Supermarkt. Und er hat dabei nicht gelacht.

2) Die ärztliche Versorgung ist genauso gut organisiert wie in der DDR. Überall gibt es leicht erreichbare Polikliniken. Das haben wir herausgefunden, als wir unseren Kleinen mit einer Sommererkältung mit Sommerhusten und Sommerfieber zum Kinderarzt bringen mussten.

3) Sie haben ein fröhlich-ungebrochenes Verhältnis zu Ihrer Nation und Geschichte. Ein Deutscher sollte hier natürlich neidisch schweigen. Deshalb möchte ich auch gar nicht in Frage stellen, ob man wirklich auf jedem Plumpsklo seine Nationalfahne hissen muss. Auch die Ansicht, eigentlich hätten die Wikinger Amerika entdeckt, soll an dieser Stelle nicht mit historischen Fakten konfrontiert werden.

Aufmerksame Leser werden es schon jetzt gemerkt haben: Schweden wird wahrscheinlich nicht das neue Lieblingsurlaubsland meiner Familie. Aber auf der Rückfahrt (6 Stunden Tempo 110 auf menschenleerer Autobahn) sind wir schon wieder versöhnt: Unsere Sachen werden trocknen, irgendwann wird unser Kind aufhören, nachts zu husten, und den See und die Wälder, die vermissen wir eigentlich jetzt schon.

Fragen zu Schweden? kolumne@taz.de Montag: Stefan Kuzmany ist GONZO