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■ SchlaglochWenn Bill Gates Rückenschmerzen hat Von Christiane Grefe

„Für seinen Geist gibt es keine nachlässigen Emotionen, kein unkontrolliertes analoges Zeugs – nur Trillionen von binären Impulsen, die cool jeden Input in korrekte Antworten umsetzen.“ „Time-Magazin“ über den Microsoft-Gründer Bill Gates

Eines Morgens wachst du auf, und der Arm bewegt sich ganz einfach nicht mehr. Kannst noch so viele Botschaften an die Muskeln versenden: Beugen! Strecken! – keine Reaktion. Der Anfang vom Ende?, denkst du erst hypochondrisch schockiert. Dann, wieder ruhiger: Bei einem Herzanfall müßte doch der linke Arm taub werden? Und hat dich der rechte nicht schon seit ein paar Jahren gequält? Dieses gemeine, sich allmählich steigernde Ziehen, das von den Fingern aus den Arm hoch in die Schulter, Nacken und Hinterkopf fährt? „Schulter-Arm-Syndrom, chronifiziert“, sagt die Ärztin gelangweilt und stellt ein Fango-Rezept aus. Du nickst demütig – au, das knirscht. Normale Härte. Tilman Spengler hat ein Buch über seine Rückseite geschrieben, fängt stark an: „Ich bin dein neuer Herr, sagte der Schmerz.“ Axel Hackes Nacken, enthüllte er gerade im SZ- Magazin, ist „so hart wie das Leben in einer sibirischen Kleinstadt“. Marianne, Thomas und Bettina sind derzeit mit so einer Halskrause ruhiggestellt. Marita müßte bald aus der Kur wieder da sein. Und mit Claudia, Hans, Tina und sechs anderen Stocksteifen liege ich jetzt mehrmals die Woche auf dem Boden und mache krankengymnastische Übungen. Wir Bürokrüppel, Sitzsäcke, Opfer des starren Bildschirmblicks und der vom feinmotorischen Mausklick fehlgesteuerten Nervensysteme: Die Füße in der Luft, entrosten wir ungeschickt ewig brachliegende Gelenke und erlernen verschüttete Bewegungen neu. Ein bißchen verschämt ob der eigenen Lächerlichkeit. Mit geschlossenen Augen. Und im Dunkel dieser Konzentration erschien mir kürzlich dieser Mann. Nicht vor einem, nein vor zwei PCs gleichzeitig saß er, Tag und Nacht, und ein Bildschirm war zusätzlich noch viergeteilt für so viele hereinströmende Internet- Daten wie möglich – während er an dem anderen täglich weit über 100 E-Mails umsetzte. Das alles machte dieser Mann so kalt, schnell, rigoros, „daß man sich seinen Geist tatsächlich als digitalen Rechner vorstellen könnte“. So stand es in einer ebenso ehrfürchtigen wie befremdenden „homestory“ des US-Magazins Time über den Microsoft-Gründer Bill Gates. Er ist der berühmteste, mit 29 Milliarden Dollar Vermögen auch reichste Geschäftsmann der Welt. Der „Henry Ford unserer Tage“, Verkörperung des digitalen Zeitalters: Ein Gehirn mit Brille, das Gefühle für Störfaktoren, die Seele („dafür liegen mir keine Beweise vor“) allerhöchstens für eine Hypothese und den Körper für ein lästiges Anhängsel hält. An dieser Stelle riß es mich wieder im Genick, worauf ich das mit dem Anhängsel an sich ganz ähnlich empfand – doch ist die Verkrampfung nicht gerade eine Rebellion gegen so ein kollektives Vorbild? Mit dem „Verschwinden des Körpers“ durch seine Auflösung im Cyberspace haben die Medien zur Mystifizierung der neuen Technologien kräftig beigetragen – doch ich halte den Leib ganz profan für stur.

Jede industrielle Revolution bringt ihre eigenen Krankheiten hervor. Zu Henry Fords Zeiten litten die Menschen – natürlich viel schlimmer! – an totaler Erschöpfung nach zwölf bis 14 Stunden Akkordarbeitstagen; das Dienstleistungszeitalter versetzte die Physis in Erstarrung – und heute läßt uns Bill Gates endgültig sitzen, indem er nach der Büroarbeit auch noch die Freizeit vernetzt. E-Mail, CD- ROM, Video, Homeshopping, Cyberspace-Reisen und Netzgruppendebatten: immer mehr Zeit frißt der Bildschirm und fordert dabei einzig das hochkonzentrierte Hirn – was dauernde Rückenschmerzen bei 40 Prozent der Bevölkerung bewirkt.

O.k., neben anderen Ursachen, natürlich. Doch dafür, daß diese gigantische Zahl aus dem Ärzteblatt zumindest auch vom Computer herrührt, spricht, daß sie sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt hat. Zudem nahmen Rückenbeschwerden überdurchschnittlich unter Jüngeren zu. Wehwehchen, vielleicht. Doch mehr als ein Drittel der chronisch Genervten wird richtig krank; allein ihre Rehabilitation kostet weit über eine Milliarde Mark. Und richtig teuer fürs Gesundheitswesen sind die chronischen vegetativen Störungen als Folge der Verspannung: Minister Seehofer weiß schon, warum er gerade an Massagen und Kuren spart.

Mit hoher Selbstbeteiligung also oder ganz auf eigene Kosten rollen wir wie falsch gelandete Käfer am Boden herum, wedeln mit Ellenbogenflügelchen, atmen tief ins Becken und bedauern all jene, die die 80 Mark pro Stunde nicht zahlen können. Dabei dürfte gerade ihnen neben der ergonomisch optimierten Computerarbeitsplatz-Mechanik auch die „High- Angst“ vor dem „High-Tech- Schurken auf unserem Schreibtisch“ ins Kreuz fahren, wie der englische Autor Geoff Mulgan das nennt: Weil er – welch böse technologische Kränkung – Verwaltungskenntnisse, aber längst auch Beraterqualifikationen wie bei Medizinern oder Juristen einfach wegrationalisiert. Weil er immer mehr Menschen dazu zwingt, ihre Schlafzimmer zu einem einsamen Heimarbeitsplatz umzuräumen. Oder weil das Informations-Bombardement – Optionen, Komplexität, nicht überprüfbare Fakten – doch ebensoviel Verwirrung wie Autonomie gestiftet hat.

Und High-Angst jagt uns erst recht das fortgesetzt ungebrochene Machbarkeitsdenken von Leuten wie Gates in die Knochen: laut Time umgibt er sich in jungensbündlerischer „Mathe-Lagermentalität“ zwar mit intelligenten und aufmüpfigen – aber doch nur mit „Bill-Klonen“. Und interessiert sich – hoch effizient – kein bißchen für andere soziale Kontexte. Nur in dieser hermetischen Welt kann Billy the Kid wohl seine regressiven Allmachtsvisionen entfalten. „Demnächst werden wir das menschliche Genom entschlüsselt haben“, verriet er Time, „und dann können wir nicht mehr nur auf Silicon-, sondern auch auf Kohlenstoffbasis nachbilden, wie die Natur die Intelligenz konstruiert hat“. Um eine „fehlerfreie“ Intelligenz zu zaubern? Aber Intelligenz ohne Leib; ohne seine Geschichte, seine Erfahrung? Ich fange an, meine Nackenschmerzen, echte Lebenszeichen, zu lieben.

Immerhin, Bill Gates selbst verfügt – „gut für die Konzentration!“ – über ein Büro-Trampolin – eine Anschaffung, die ich allen Anwaltskanzleien und Telekom-Auskunftsstellen empfehle. Und seinen Daten-Highway verkauft er mit dieser Hoffnung: „Ich möchte erfahren, welche Gesundheitsrisiken für Leute meines Alters bestehen und wie man sie vermeiden kann.“ Vielleicht landet er ja unterwegs im Netz bei so subtilen Tips wie jenen der Rheinischen Post online: „Im Sitzen den Oberkörper so weit wie möglich zwischen die gespreizten Beine vorbeugen. Die Arme zwischen den Beinen herunterhängen lassen...“ Aber vielleicht wird eines Tages auch einer der Kohlenstoff-Replikanten sein Arbeitszimmer betreten und sagen: „Weißt du, Gates – eines der größten Gesundheitsrisiken bist du.“

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