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Schirm & ChiffreBeiß rein, komm in die E-Bar

■ Mit „Wildpark“ blüht der Lifestyle im Internet – bis sein Ökosystem umkippt

Der Hintergrund ist weiß, das Logo schlicht, aber supermodern, und in der Mitte liegt, geschmackvoll drapiert, ein prähistorischer Kiefer. Das hier ist Wildpark, der WWW-Appendix der Berliner Multimediafirma Pixelpark. Ein Angebot, das dem unerfahrenen Datenreisenden einen Einstieg ins Netz bietet, denn: Niemand regelt den Verkehr auf der Datenautobahn, es herrscht Anarchie im Internet. Alle paar Monate verdoppelt sich die Bevölkerung im Cyberspace, das World Wide Web wächst exponentiell.

Der Wildparkslogan „Bite into it“ bringt das Wesen des Angebots auf den Punkt. Hier wird Information in gut verdaulichen Häppchen mundgerecht serviert, das Internet als interaktive Variante von Fernsehen begriffen. So will es der junge, trendy User. Wildpark (http://www.wildpark. com) sieht gut aus und informiert uns über alles, was man nicht unbedingt braucht:

„Wozu Eigentumswohnungen? Hier im Internet gibt es auch euer persönliches Traumhaus- Schnittmuster-Heft. Ihr braucht eine Blaupause mit Plänen? Kein Problem! Ihr müßt nur sagen, welcher Typ Familie ihr seid: die One-story-living-Familie oder die Two-story-living-Familie oder die Countrypolitain-Familie oder die Move-Up-Familie oder oder oder...“

Wie jedes Märchen hat auch dieser Tip aus der Rubrik „Intershop“ einen ernsthaften Hintergrund, schließlich müssen alle professionell betriebenen Internetangebote einmal bezahlt werden. Wildpark plant ein Verschlüsselungssystem für die abhörsichere Abwicklung von Transaktionen im Netz. Irgendwann wird man sich ein echtes Einfamilienhaus im Netz bestellen können, ohne daß Hacker, Finanzamt oder Hi-Tech-Einbrecherbanden das mitbekommen.

Neben „Intershop“ bietet Wildpark eine Reihe weiterer Rubriken. Dort lassen sich zum Beispiel die Adressen von Berliner Kneipen und Kinos abfragen. Richtig unterhaltsam und informativ wird es erst in der Musiksparte, wo Kurzmeldungen aus der Branche neben den monatlichen Neuveröffentlichungslisten liegen. Mittels Querverweisen können weitere Informationen zu den Künstlern abgefragt werden. Mit dabei auch die Online-Version des Partyführers Flyer, deren Printvariante aber doch irgendwie handlicher ist.

Auf der „Plaza“ finden sich aus dem Internet wohlbekannte Dienste wie Schwarze Bretter und E-Bars. Erstere sind mit umfassenden Themen überschrieben, was manchen User zu verwirren scheint: Ein anonymer Nutzer fragt sich, worüber er hier schreiben soll. Herta sucht nach einer Dalida-Platte, und ansonsten finden sich Partyankündigungen, deren Verfallsdaten weit überschritten sind.

Die E-Bars wiederum sind noch im Aufbau begriffen. Hier sollen Menschen unter Zuhilfenahme einer speziellen Software später online miteinander kommunizieren. Die Meldungen der Anwesenden werden als Comicsprechblasen wiedergegeben. Dem geschriebenen Wort kann durch die Wahl von Sounds wie „Lachen“, „Applaus“ oder „Buh“ Nachdruck verliehen werden.

Wildpark ist vollkompatibel zum aktuellen state of the art der Warenästhetik designed worden, d.h. es sieht aus wie ein englisches Lifestylemagazin. Erst die schöne neue Welt des WWW machte Design, Farbe und Graphik im Internet möglich. Früher oder später wird das Ökosystem des Netzes aber wegen der immensen Datenmengen umkippen, die Graphiken, Videos und Sounds produzieren.

Nutzer, die nach Informationen suchen – und Information ist bekanntlich das, was einen Unterschied macht –, verwenden ohnehin Werkzeuge, die Graphiken und Videos ignorieren. Lynx ist ein solcher textbasierender Browser, der schnelles Surfen durchs Netz möglich macht.

Angebote wie Wildpark mit Lynx zu durchforsten ist ein erhellendes Erlebnis, es zeigt sich schnell, wie unwichtig Texte hier sind: Vielleicht wären die Modedesigner, die hier vorgestellt werden, im guten alten Fernsehen doch besser aufgehoben. Spätestens nächstes Jahr werden dann auch Fernbedienungen serienmäßig mit Applaustasten ausgeliefert. Ulrich Gutmair

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