: Scheiß auf den GAU
Ölpest, Atomkraft, Waldsterben – die Sorge um die Umwelt, die einst Massen auf die Straßen, an Mülltonnen und aus Fastfoodketten trieb, interessiert kaum noch. War der Umweltkampf umsonst?
VON MICHAEL ZIMMERMANN
Was ist eigentlich los? Hallo! Wenn die Umwelt untergeht, sollte man das zumindest registrieren und – wenn nötig – sich dazu äußern, vielleicht. Früher, in den Siebzigern, Achtzigern, teilweise in den Neunzigern, hatte man aufgrund apokalyptischer Voraussagen sogar regelmäßig demonstriert. Doch man sagt uns immer wieder: „Die Zeiten haben sich geändert“ – was in der Tat zu stimmen scheint.
Eigentlich reichte es aus, sich auf die just vergangenen Tage zu konzentrieren. Allein in dieser kurzen Zeitspanne fänden sich genug Gründe, auf die Straße zu gehen, Titelseiten zu füllen, das Handy einmal kurz beiseite zu legen, das Computerspiel auszuschalten und sich, zumindest, einmal ernsthaft Gedanken zu machen:
Im schwedischen Atomkraftwerk in Forsmark kam es beinahe zu einem GAU, was, das sei hier nochmal erwähnt, „größter anzunehmender Unfall“ heißt. Mittlerweile sind auch zwei der drei Blöcke eines anderen AKWs in Oskarshamn vom Netz genommen worden, weil befürchtet wird, dass sie unter dem gleichen Konstruktionsfehler leiden wie dasjenige mit dem Störfall. Und jetzt? Sondersendungen im Fernsehen? Aufmacher in den Zeitungen? Proteste in den Innenstädten? Lehrer, die mit ihren Schülern Transparente malen? Kurz: eine alarmierte Öffentlichkeit? Fehlanzeige. Genauso wenig scheinen die Menschen von einem aktuellen, 90 Kilometer langen Ölteppich im Mittelmeer oder von einem neuerlichen Fall der Vogelgrippe im Dresdener Zoo zu beeindrucken zu sein.
Doch warum ist das so, dass nichts ist mit Protest und Engagement? Vor eineinhalb Jahrzehnten hat man uns noch in der Schule erzählt, dass wir nicht zu McDonald’s gehen dürfen (wegen des Waldes), den Tintenkiller besser „Tintentod“ nennen sollen (wegen des Pazifismus) und erwähnten Stift am besten auch gar nicht erst gekauft hätten (wegen der schwierigen Entsorgung). Am Wandertag ging man dahin, wo noch Bäume standen; leider gab’s noch keine Fotohandys. Das Pausenbrot war unbedingt in wiederverwertbaren Boxen mitzubringen, keinesfalls in Plastiktütchen – auch wenn man dem Lehrer versicherte, dass man die Tüte immer wieder auswasche und neu benutze.
Einige haben sich an derlei gut gemeinte Ratschläge gehalten, viele trennen mittlerweile den Müll und die meisten haben sich sogar mit dem Dosenpfand arrangiert – der grüne ehemalige Außenminister ist ein weltweit angesehener Mann.
Das Dumme aber ist, dass bestimmten Entwicklungen auch durch die gründlichste Gründlichkeit und das pflichtbewussteste Pflichtbewusstsein moralischer Bürger allein nicht beizukommen ist. Denn was nützt es, Frösche von einer Straßenseite auf die andere zu tragen, wenn wirtschaftliche Interessen beispielsweise dafür sorgen, dass die größten industriellen Umweltverschmutzer von der Ökosteuer befreit oder die Straßen immer breiter werden?
Bewusstsein für Umweltfragen wurde in den vergangenen Jahrzenten durchaus geschaffen, es existiert auch heute noch. In Deutschland liegen sieben Jahre Rot-Grün hinter den Menschen. Doch an den grundsätzlichen wirtschaftlichen Zusammenhängen haben diese Jahre nichts geändert. Versucht wurde in erster Linie, durch ökonomische Anreize ökologisches Verhalten und Wirtschaften zu befördern. Dies führte zwar zu einzelnen, kleinen Erfolgen, die jedoch oft nur ein Abbremsen auf dem Weg der Naturzerstörung statt eine grundsätzliche Kurskorrektur bedeuteten. Von der großen Koalition ist wohl kaum mehr zu erwarten.
So hat das scheinbare Desinteresse der Menschen an ökologischen Fragen auch sehr stark etwas mit Resignation in ökonomischen Fragen zu tun – ob nun bewusst oder unbewusst. Oft wird diese Passivität mit einer Art von Realismus gleichgesetzt. Tiefer gehende Analysen gesellschaftlich-ökonomischer Zusammenhänge fallen häufig unter den Verdacht versuchter Manipulation. In den Achtzigern ging es darum, Bewusstsein zu schaffen und konkret zu verändern. Beides ist nur partiell gelungen. Aber es war dennoch mehr, als jetzt passiert.