: Scheinheilige öffentliche Debatten
betr.: „Tod im Container“, taz vom 3. 12. 05
Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Scheinheiligkeit öffentliche Debatten geführt werden, zum Beispiel der Brand im Obdachlosenheim in Halberstadt, bei dem neun Menschen ihr Leben verloren. Lokalpolitiker zeigen sich erschüttert über das Ausmaß der Tragödie, bei der es „die Ärmsten der Armen getroffen“ hat.
Nun ist Halberstadt in Zeiten „leerer öffentlicher Kassen“, wo von den Bürgern mehr Eigeninitiative und Verantwortung gefordert wird, nicht unbedingt Vorbild in Sachen Sozialpolitik – wurden doch Sozialetats gekürzt bzw. gestrichen. Anstatt den Fokus nur auf die Suche nach möglichen Brandursachen zu richten, sollte in der Diskussion nicht vergessen werden: Welchen Stellenwert haben sozial ins Abseits geratene Menschen in einer derzeit geführten Reformdebatte? Als gebürtige Halberstädterin hat es mich sehr betroffen gemacht, dass die „Ärmsten der Armen“ in Wohnprovisorien (leicht entflammbare sog. „Wohncontainer“) am Rand der Stadt leben müssen, während gleichzeitig in Halberstadt der „Rückbau Ost“ – heißt Abriss der Plattenbauten – im großen Stil vorangetrieben wird; vom Leerstand zahlreicher Wohnungen ganz zu schweigen! Leider zeigt uns diese Tragödie eine Auswirkung der gesellschaftlichen Spaltung in Arm und Reich. Und sie verdeutlicht auch, was uns die Integration der „Ärmsten der Armen“ wirklich wert ist: nichts!
BIRGIT SCHUTT, Hannover