Schauspielerin Marie Bäumer: Spannung aus Stille
Egal ob als alkoholisierte Filmdiva oder feixende Bardame: Schauspielerin Marie Bäumer ist eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Film- und Fernsehlandschaft.
Werden die Pressebetreuer Marie Bäumer wieder suchen müssen? Oder wird alles nach Plan laufen? Schon einmal traf ich die Schauspielerin zum Interview. Es war 1996, und Marie Bäumer, 26 Jahre alt, war eine Kinodebütantin, die mit Detlev Buck, Til Schweiger und Heike Makatsch durch die Republik reiste, um den Film "Männerpension" vorzustellen. Kurz vor unserem Gespräch war sie aber wie vom Erdboden verschwunden. Übermüdet von der ersten Kinotour, den Interviews und den langen Abenden mit den trinkfesten Kollegen wollte sie eine Pause für ein Nickerchen nutzen - und wachte nicht auf.
Mittlerweile gehört der Rummel um ihre Person für Bäumer zum Alltag, kennt sie das Prozedere beim Herausbringen eines neuen Films in- und auswendig: Talkshows, Interviews im Halbstundentakt und Fotoshootings. Dennoch kommt während des Gesprächs nicht das Gefühl auf, dass Bäumer eine Routine-Veranstaltung absolviert. "Darf ich schon mal das Aufnahmegerät anmachen?"
Gerade hat die Schauspielerin ihr Essen bekommen. "Wenn es Sie nicht stört, dass ich rumkaue. Aber ich bin es gewöhnt, mit vollem Mund zu reden." Ähnlich locker wie vor fast 15 Jahren sitzt sie auf dem Dach eines Designerhotels in Hamburg, lässt es sich schmecken, legt die nackten Füße auf die Sitzbank. Der Lärm einer nahen Großbaustelle bringt sie nicht aus dem Redefluss.
Dieser Text ist aus der aktuellen sonntaz vom 1./2.8.09 - ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.
Geboren am 7. Mai 1969 in Düsseldorf, aufgewachsen in Hamburg. Schauspielstudium in Verscio im Tessin und in Hamburg.
Ihr Kinodebüt gab sie 1995 in Detlev Bucks Komödie "Männerpension". 2001 war sie in Bully Herbigs Blockbuster "Der Schuh des Manitu" zu sehen, zwei Jahre später in Oskar Roehlers umstrittenen Beziehungsdrama "Der alte Affe Angst".
Marie Bäumer ist eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Kino- und Fernsehlandschaft, wo Stars und SchauspielerInnen manchmal von zwei unterschiedlichen Planeten zu stammen scheinen. Bäumer ist in aller Selbstverständlichkeit beides zugleich. So verwundert es niemanden, wenn sie nach einem quotenträchtigen TV-Event-Movie wie dem Bombendrama "Dresden" von Roland Suso Richter bei einem kleinen kroatisch- bosnischen Autorenfilm "Armin" von Ognjen Svilicic eine permanent alkoholisierte Filmdiva spielt.
Als Bardame Uschi klamaukt, grimassiert und feixt Bäumer mit Michael Herbig und Christian Tramitz in "Der Schuh des Manitu" (2000) um die Wette und findet sich plötzlich auf den Titelblättern wieder. Drei Jahre später steht sie im Mittelpunkt der Feuilletons, als auf der Berlinale Oskar Roehlers Beziehungsdrama "Der alte Affe Angst" mit ihr und André Hennicke in den Hauptrollen läuft. Auch wenn sich die Boulevardpresse mit den Exzessen und Tabubrüchen dieses Films eher schwertat, feierte sie die so verletzlich wirkende Bäumer mit ihren hochgesteckten Haaren als neue Romy Schneider.
Befragt man Marie Bäumer zu ihrer achterbahnhaften Filmografie, reagiert sie achselzuckend: "Einen roten Faden bei meinen Rollen suche ich bestimmt nicht. Es kann aber sein, dass ich nach drei dramatischen Rollen wieder Lust auf etwas Leichtes habe. Aber wer kann das in dieser Branche schon planen? Höchstwahrscheinlich nicht einmal die größten Stars."
Vergleiche zwischen ihren Figuren? "Das wäre doch sonderbar. Manche Filme liegen doch jahrelang auseinander." Halten wir fest, dass sich ihre beiden bisher interessantesten Rollen, die bedingungslos liebende Marie aus "Der alte Affe Angst" und Hanna aus ihrem aktuellen Kinofilm "Mitte Ende August", an Beziehungsgeschichten abarbeiten.
In Sebastian Schippers neuem Film kauft sich ein junges Paar ein Häuschen auf dem Lande. Doch statt die Sommerwochen gemeinsam zu verbringen, verlieren sich die beiden langsam aus den Augen. Thomas (Milan Peschel) stürzt sich in halsbrecherische Renovierungsaktionen, fällt Riesenbäume und bearbeitet mit dem Vorschlaghammer tragende Wände. Als sein älterer Bruder auftaucht, erkennt Bäumers Hanna in dem überlegt handelnden und in sich ruhenden Friedrich (André Hennicke) einen Seelenverwandten.
"Es gibt ein schönes Gedicht von Erich Kästner, das die entfremdete Stimmung zwischen dem ursprünglichen Paar ganz wunderbar umschreibt", sagt Bäumer. "Sie gingen ins kleinste Café am Ort / und rührten in ihren Tassen. / Am Abend saßen sie immer noch dort. / Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort / und konnten es einfach nicht fassen."
Ohne große Betonung trägt sie diese Zeilen vor, denn das stille Drama ist schon Drama genug. Auch Sebastian Schipper bevorzugt diese Erzählhaltung, beobachtet die kleinen Veränderungen und Rücksichtslosigkeiten im alltäglichen Zusammenleben seiner Figuren. Etwa wenn Thomas morgens die Musik laut aufdreht, obwohl Hanna noch schläft. "Mir gefällt, dass Sebastian nichts bewertet oder erklärt", sagt Bäumer. "Vorsichtig beobachtet er den Zustand einer unglaublichen Fassungslosigkeit und Sprachlosigkeit."
Schippers Arbeitsweise scheint Marie Bäumer ohnehin nahe zu sein und "Mitte Ende August" ein Projekt, das ihren Vorlieben als Schauspielerin entgegenkommt. Sie mag die Arbeit mit einer kleinen Crew: "Produktionen werden doch nicht wichtiger, weil Tausende von geschäftig dreinblickenden Menschen übers Set eilen."
Ihr liegt der Dreh an einem Motiv wie dem Haus inmitten einer einsamen Landschaft: "Deshalb haben wir ohne größere Unterbrechungen gedreht und ich konnte mich so richtig in die Rolle reinfräsen." Und sie schwärmt von einer Kamera, die den Schauspielern einfach gefolgt sei und ihnen sehr viel Raum gegeben habe. Überhaupt sei "Mitte Ende August" ein großes Gemeinschaftsprojekt gewesen, ermöglicht durch das "wunderbare Drehbuch" von Sebastian Schipper: "Ich nenne das immer geschmierte Schienen, da muss man nur noch den Zug draufstellen und losfahren."
Immer wieder verwendet sie Worte wie Konzentration oder Reduktion. Einmal hält Marie Bäumer, die ihre Worte gerne mit Gesten unterstreicht, inne. Beim Abhören des Bandes fällt mir auf, dass Messer und Gabel für einen Moment hingelegt werden. Dann sagt sie, fast verkündend: "Spannung entsteht ja aus der Stille und nicht aus der Lautstärke oder der Bewegung. Alles was nicht notwendig ist, sollte weggelassen werden, um schneller zum Kern vorzustoßen."
Einführung in das Wesen der Schauspielkunst
Es ist ihr reduziertes Spiel, das Marie Bäumer auf der Leinwand eine so schlichte wie eindrückliche Präsenz verleiht. Man sieht es schon in Detlev Bucks "Männerpension", wenn sie als Emilia Bauer distanziert die Eskapaden von Til Schweigers Figur beobachtet und den Aufschneider dadurch auf sich selbst zurückwirft. In "Der alte Affe Angst" bleibt das Gesicht einer einsamen jungen Frau in Erinnerung, auf das sich von Einstellung zu Einstellung mehr Schatten legt. "Dieses konzentrierte oder minimalistische Spiel ist mir nur möglich, wenn das Buch oder die Geschichten nicht zu eindimensional sind. Wenn ich den Kern nicht in den Griff bekomme oder ihn nicht finde, fange ich an, die Leere mit eigentlich sinnlosen Gesten zu überspielen."
Und dann kommen wir doch noch auf sie zu sprechen: auf Romy Schneider, obwohl Marie Bäumer von diesem Vergleich eigentlich nichts wissen will. "Ich arbeite mittlerweile als Schauspiellehrerin und habe für den Unterricht Szenen mit Romy Schneider herausgesucht. Sie war eine Schauspielerin, die mit wenig alles ausdrücken konnte. Dabei setzte sie immer ihren ganzen Körper ein."
Es folgt eine kleine Einführung in das Wesen der Schauspielkunst. "Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Film immer nur da stattfindet, wo man gesehen wird, also während einer Großaufnahme des Gesichts. Wenn ich Aufmerksamkeit erzielen will, kann mein Spiel nicht erst beim Schlüsselbein beginnen. Die Energie kommt vom Erdkern und muss herausgesendet werden. Alles andere ist nur die halbe Miete. Es war einfach super, wie Romy Schneider dieses physische Spiel ganz unaufdringlich beherrschte."
Irgendwie passt es, dass es Marie Bäumer wie ihre verstorbene Kollegin nach Frankreich zieht. Sie spricht von einem entseelten Deutschland, von einem vorwurfsvollen Umgang miteinander. Von ihrer Vorliebe zum französischen Kino. "Dieses Kino hat eine hohe Kultur in der Erzählung des Unausgesprochen und Widersprüchlichen entwickelt, und das interessiert mich." Dann schaut sie auf ihren mittlerweile leer gegessenen Teller und verweist auf die ausgeprägte Esskultur ihrer Wahlheimat. "Da werden die Dreharbeiten sogar für eine Stunde unterbrochen. Und es gibt auch ein Glas Wein."
Marie Bäumer ist derzeit in "Mitte Ende August" im Kino zusehen.
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