Schauspieler Bernd Michael Lade: Kommissar Punk lässts krachen
Der Schauspieler Bernd Michael Lade wurde als "Tatort"-Ermittler bekannt. Im richtigen Leben ist er Punkmusiker - und überzeugter Anarchist.
Ein Flugzeug donnert über Pankow hinweg. Die dünnen Wände der kleinen Garage zwischen den Bürgerhäusern vibrieren leicht. Die Musiker in der Garage nehmen es nicht wahr, sie produzieren selbst Krach. Simple Riffs, wenige Akkorde, echten Garagenrock. Von der Wand starren ein paar Typen: Johnny Rotten und Jello Biafra von den alten Punk-Heroen Sex Pistols und Dead Kennedys, Billy Corgan von den Smashing Pumpkins. Angepinnt hat sie der Gitarrist und Sänger der probenden Musiker, er holte die vergilbten Bravo-Poster aus einem alten Ordner. "Man braucht ja ein bisschen pubertäres Feeling, wenn man Musik macht, die aggressiv sein soll."
Der Freund des Krachs heißt Bernd Michael Lade und sieht in seiner verschlampten Trainingsjacke überhaupt nicht aggressiv aus. Mit seinem bedächtigen Erzählton und den hängenden Schultern wirkt er fast ein wenig lethargisch. Er versprüht so wenig Elan wie in seinen Rollen als Schauspieler, der er von Berufs wegen ist. Den deutschen Fernsehzuschauern ist er vor allem als langjähriger "Tatort"-Kommissar Kain an der Seite von Ehrlicher (Peter Sodann) bekannt. Das Leipziger Duo wurde Ende 2007 in den Ruhestand geschickt. Auch deshalb hat der 43-jährige Berliner Zeit für seine Band "Ret Marut". So lautete einst das Pseudonym, unter dem der Schriftsteller B. Traven Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland eine anarchistische Zeitung herausgab. Die Referenz ist nicht nur ein Gag, denn Bernd Lade ist aus tiefster Seele Anarchist.
Er meint es damit genauso ernst wie damals in der DDR, als er sich auf dem Weg zum Terroristen sah. "Zusammen mit einigen Kumpels hatte ich wirklich überlegt, wie wir an Waffen kommen. Mit denen wollten wir die Wahllokale in Berlin in die Luft jagen." Das war Ende der 70er-Jahre. Wenn Bernd Michael Lade heute davon erzählt, klingt das weder nostalgisch noch aufgesetzt, eher ein wenig verwundert. Fan der westdeutschen RAF sei er aber nie gewesen, sagt der spätere Fernsehkommissar heute. "Die RAF-Leute hielt ich für intellektuelle Spinner und Pop-Typen, mit denen hatte ich nichts am Hut."
Der Junge aus Berlin-Mitte wollte mit echtem revolutionären Terrorismus gegen die DDR-Diktatur kämpfen. Warum? "Ich fand alles aus dem Osten scheiße. Diese von oben verordnete und weit verbreitete Spießigkeit." Es war nicht so, dass er, wie viele seiner Kumpels, Stress mit den Eltern hatte. "Ich habe als Kind viele Bücher gelesen, in denen ging es um Gerechtigkeit und Rebellion. Man darf die Wut und den Hass nicht unterschätzen, aus denen so ein Kinderkreuzzug entstehen kann." Warum der Hass bei ihm so ausgeprägt war, kann er heute nicht mehr genau sagen. "Da spielte auch eine gewisse jugendliche Engstirnigkeit eine Rolle. Wenn man so gestrickt ist und auf Rebellion aus, will man auch aggressiv sein."
Weil es mit den Waffen nicht klappte, griff der Pubertierende zu Mikrofon und Schlagzeugstöcken. Kunst als Waffe sozusagen. Wobei seine Kunst nicht Kunst im klassischen Sinne war, sondern Punkmusik, die im Rockmusikförderland DDR offiziell nicht existierte. "Die bekannten Ostrocker waren gute Musiker, aber die ganze DDR-Musik hat überhaupt nicht gerockt, auch nicht textlich", sagt Bernd Michael Lade. Er wollte unverblümten Hau-drauf-Rock und Provokation, also gründete er mit einem Schulfreund 1979 eine der ersten DDR-Punkbands: "Antifaschistischer Schutzwall". Es folgte "Planlos", deren Bandgeschichte anderthalb Jahrzehnte später die Grundlage für den Kinofilm "Feuer und Flamme" lieferte. Die Band, die sogar den Ritterschlag in England erhielt, als The Observer über die Songtexte viel Anerkennendes schrieb, existierte drei Jahre. Bis Stasichef Erich Mielke 1983 "Härte gegen Punks" befahl.
"Jede Woche saß man wegen Klärung eines Sachverhalts auf der Wache", sagt Lade lakonisch. "Wir wussten natürlich alle: Wenn man gegen eine Wand rennt, holt man sich Beulen. Darüber muss man heute nicht groß heulen." Leid täten ihm aber die Leute, die in den Knast wanderten und deren kreatives Leben ruiniert worden sei. Dem gelernten Baufacharbeiter Lade blieb das Gefängnis erspart. Er bekam den Einberufungsbefehl zur Nationalen Volksarmee, den er nur aus Rücksicht auf seine besorgte Mutter nicht verweigerte. "Bei der Armee hatte ich viel Zeit zum Nachdenken über meine Zukunft", sagt er. "Punkrock war für mich als Teenager die ideale Ausdrucksform, aber das reichte mir nicht mehr."
Die pubertäre Vehemenz wurde dem Punker vom Kommiss nicht ausgetrieben. Er trachtete nur nach einer anderen Form, sein Äußerungsbedürfnis zu befriedigen. "Ich verfolgte wieder meinen alten Traum, Schauspieler zu werden, zumal mir auch mein Kumpel Armin Petras zuriet." Petras ist heute Intendant des Berliner Gorki-Theaters. Lade durfte dann tatsächlich an der Schauspielschule "Ernst Busch" studieren. Durfte, dieses Wort, das ihm seine alten Punkgefährten Michael Boehlke und Henryk Gericke im Buch "OstPunk!" hinterherschrieben, regt Lade ein wenig auf. Weil es suggeriert, dass er womöglich mit der Stasi einen Deal gemacht hätte. "Die haben mich nie geworben oder erpresst, obwohl sich sogar die Spionageabwehr jahrelang mit mir beschäftigte", stellt er klar. "Ich hatte einfach Schwein, wie ich aus meiner Stasiakte weiß, dass ich trotz schlechter Beurteilungen auf der Schauspielschule angenommen wurde. Offenbar erkannten die Lehrer ein gewisses Talent in mir. Die haben mich auch später nicht in die Pfanne gehauen, obwohl ich nie ein Blatt vor den Mund nahm." Vielleicht, weil seine Energie inzwischen weniger destruktive Ideen hervorbrachte. "Ich wollte eine bestimmte Art Filme machen, kritischer, geradeaus und nicht so steif wie die üblichen DDR-Filme. Mit denen war es ja wie mit dem DDR-Rock, sie gingen nicht ab und permanent spürte man die Zensur. Ich dachte echt, das DDR-Fernsehen revolutionieren zu können."
Deshalb hängte der Jungrevolutionär ans Schauspielstudium gleich noch ein Regiestudium in Babelsberg an. Als er fertig war, gab es das DDR-Fernsehen längst nicht mehr. Der Schauspieler Lade bekam trotzdem reichlich zu tun, komischerweise oft in Polizistenrollen. Er spielte den sympathisch-trotteligen Dorfbullen in Detlev Bucks "Karniggels" und 16 Jahre lang den "Tatort"-Ermittler. Der abrupte Abschied sorgt zwar momentan für "etwas Flaute" im Job, ist aber nicht die Ursache, dass es Lade wieder so oft in seine Garage zieht. "Ich habe immer zwischendurch Musik gemacht." Seine Band Cadavre Exquis aus den Endachtzigern reformierte er nach der Wende - und machte weiter. Sich nur als Schauspieler auszudrücken und sich in Drehbuchkorsetts pressen zu lassen, reichte ihm nie aus.
Lades Comeback als Musiker ist aber keine Rückkehr zur alten Wut. "Ich bin Familienvater, da hat das Leben einen ganz anderen Sinn. Heute sehe ich mich eher als poetischen oder betenden Anarchisten." Eine Anspielung auf den "Tatort"-Kollegen Sodann, der sich gern als betenden Kommunisten bezeichnet. Der Mensch und Bürger Lade ist von der bundesdeutschen Gesellschaft desillusioniert, er entdeckt immer mehr Bekanntes aus der DDR. Ihn stört die "Arroganz der Mächtigen", wie sie sich beim G-8-Gipfel zeigte, auch der "Überwachungswahn" des Staates. "Na ja, wir sind mit Kameras aufgewachsen", kommentiert er trocken. "Für die Kunst waren bestimmte Einengungen sogar reizvoll. Heute kannst du alles machen, aber niemanden tickt es an." Demokratie lehnt er nicht ab, aber er sieht sie von "Wirtschafts- und Parteikadern bedroht". Anarchy for Democracy? "Klar fühlt sich der Anarchist in der Demokratie am wohlsten, weil er in ihr seine Meinung sagen und seine kreative Ideen mit anderen Ideen zusammenbringen kann."
Zu "Ret Marut" gehören neben seinem alten "Planlos"-Kumpel Frank Strassburger am Schlagzeug der Bassist Tom Gognel und die Gitarristin Maria Simon. Sie ist ebenfalls Schauspielerin ("Good Bye, Lenin!") und Lades Ehefrau. Als Kind hatte sie zwar klassische Gitarre gelernt und immer von einer Band geträumt, stieß aber eher unfreiwillig zur Band. "Ich war sauer, weil sich Bernd eine teure Gitarre gekauft hatte", sagt sie. "Aber dann habe ich mir seine Songs angehört und mir auch eine gekauft."
Beim ersten Konzert am Vorweihnachtsabend im Pankower "Garbaty"-Klub entpuppte sich die dreifache junge Mutter als die Energiezelle der Liveband. Mit beträchtlicher Kraft und Wut blies sie die traditionell angebrachte Skepsis über singende Schauspieler aus den Zuhörerköpfen. Zum Beispiel im schnellen, ruppigen Song "Punkmaschine": "Punk ist keine Religion, Punk ist reine Nostalgie, Punk ist unsere Familientherapie." Bernd Lade, der das geschrieben und getextet hat, sagt: "Wenn wir uns streiten, können wir das in der Garage abarbeiten. Familie ist der kleine Staat, den man gründen muss und wo man alles so einrichtet wie man es will." So einfach ist das in der gelebten Praxis nicht immer, vor allem wenn man eine Patchworkfamilie hat und seine Kinder aus der ersten Ehe kaum sieht, weil das die Mutter nicht will. Lade verarbeitet solche Erfahrungen in Songs wie "Brief an unsere Kinder" und "Meine Liebe ist nicht gut genug". Punkmusik als Frustbewältigung und Angstausdruck. Auch wenn Lade selbstironisch von "Familienpunk mit Hausschuhen" spricht, ist seine Band für ihn und seine Mitstreiter doch mehr als ein häuslicher Spaß. "Ret Marut" wollen mit ihrem Punk n Roll raus aus der Garage, auch vor Publikum außerhalb des "MySpace"-Kosmos auftreten und - ganz altmodisch - eine Platte produzieren.
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